Meine Idee war, Analogien und Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede in Methode, Randbedingungen und Zielen darzustellen. Vielleicht kommt man auf diese Weise weiter, als wenn man versucht, naturwissenschaftliche Methoden der Geisteswissenschaft überzustülpen oder umgekehrt.
Zunächst hat Savolinna die Grundlagen der Literaturwissenschaft erläutert:
Tatsächlich muss man drei Dinge unterscheiden.Savolinna hat geschrieben: In einem ist man sich einig: Wir untersuchen - als Literaturwissenschaftler - nicht die "wirklichen" Absichten eines Autors, sondern die Werke.
In einem anderen Punkt ist man sich ebenfalls einig:
keine Deutung, nicht einmal der verstehende Lesevorgang, ist frei von einem Raster, das der das Werk Deutende und sogar nur Lesende benutzt und das auf sein eigenes Konto geht.
Hier aber schon beginnt die professionelle Methodik, die closs oben einfordert:
Der professionell methodisch Herangehende bennent und beschreibt dieses Raster, das er auf das Werk legt und mit dem er es aufnimmt.
Das heißt: professionelle Selbstreflexion ist erforderlich.
In der Regel besteht dieses "Raster" aus mindestens drei Komponenten:
a. die eigene Kultur und die eigene Zeitepoche
b. die persönlichen Voraussetzungen
c. das persönliche Interesse an dem Werk
...
Denn aus der Erkenntnis, dass kein Mensch dieser Erde unbeeinflusst von seiner Kultur, seiner Psyche, seinen Erlebnissen einen Text oder ein Werk verstehen kann, wurde von einigen Theoretikern gefolgert, dass Text oder Werk keine Eigenaussage habe, sondern komplett Produkt des Lesenden und Verstehenden sei.
Dagegen gab es dann erneut Theorien, die die grenzenlose Offenheit der Deutung ablehnen - dazu gehört unter anderem die von Umberto Eco ("Der Name der Rose"), der gleichzeitig ein bedeutender Dichter und ein bedeutender Literaturwissenschaftler ist -, weil ein Text oder Werk notgedrungen eine eigene Struktur habe, die im Werk eingebaut sei und die man nicht ignorieren dürfe.
Zu diesem "sowohl als auch" neige auch ich. Ich lehne - wie Eco - ab, die Psyche des Autors, also seine "Intentionen" als erkennbar zu behaupten, sehe aber auch deutlich, dass die eigene Denk- und Verstehensstruktur immer beim Lesen vorhanden ist. Und sehe ebenfalls deutlich, dass das Werk nicht beliebig deutbar ist, es also im Gegenteil eine eigene "Intention" hat.
Eco nennt das "Werkintention", im Gegensatz zur "Autorenintention".
Letztere ist von keinem rekonstruierbar, und erstere ist eine über die Struktur herausfindbare Eigenintention, die noch nicht einmal vom Autor bewusst gewollt sein muss.
Werkintention - das was in dem Werk an sich drinsteckt
Autorenintention - das was der Autor ausdrücken wollte
Interpretatorenintention - das was der Interpret des Werkes hineinsteckt. Denn auch der geht an das Werk nicht ohne eigenes Interesse dran.
Daran anknüpfend habe ich versucht Analogien in die Naturwissenschaft zu setzen
Es kann an dieser Stelle offen gelassen werden, ob es in der Naturwissenschaft so etwas wie eine Autorenintention gibt, denn dazu müsste man ja einen Autor annehmen. Gerade das wird ja von den Materialisten bestritten. Streng genommen wäre die Annahme einer Autorenintention bereits der Übergang in die Geisteswissenschaft (Theologie, Philosophie).ThomasM hat geschrieben: Die Werkintention sind die natürlichen Prozesse und Abläufe. Sie bestimmen, was läuft und wie es läuft. Autor des Werkes ist "die Natur" und die hat den Vorteil, dass sie immer da ist und immer dieselben Antworten gibt. Wenn ich etwas über die Werkintention der Natur erfahren will, dann muss ich sie einfach fragen. Nennen wir das Experiment.
...
Im Gegensatz zur Meinung von zu vielen hier gibt es auch in der Naturwissenschaft dieAutorenintentionInterpretatorenintention. Das sind die Modelle, die benutzt werden, um die Naturvorgänge zu analysieren und zu verstehen. Diese Modelle sind abhängig von der Zeitepoche, von den persönlichen Voraussetzungen und auch von den persönlichen Interessen dessen, der das Modell formuliert hat.
Die Subjektivierende Wirkung dieserAutorenintentionInterpretatorenintention ist wohl nicht so stark, wie bei der Literatur, aber es fällt z.B. auf, dass es verschiedene Epochen gab, in denen bestimmte Begrifflichkeiten in den Modellen prägend waren.
Neben der Analogie gibt es auch Unterschiede, methodisch wie von den Randbedingungen her
ThomasM hat geschrieben: Trotz dieser Analogie gibt es signifikante Unterschiede zwischen der Naturwissenschaft und der Literatur. So sind die Modelle der Naturwissenschaft in Mathematik geschrieben. Das ist so eine Art Universalsprache, die viele objektive Charakteristiken trägt. Das ist so, als wenn Goethe seinen Faust in einer Universalsprache geschrieben hätte. Und es bleibt die Tatsache, dass die Natur immer befragt werden kann.
Mich ergeben sich zwei Fragen aus diesen Gedanken:Savolinne hat geschrieben: Auch gewisse Modelle der Kulturwissenschaftler haben eine Art "Zeichensystem" entwickelt, die denen der Mathematik gleichen.
Der Ethnologe Claude Levi-Strauss hat in Anlehnung an die strukturale Sprachwissenschaft zum Beispiel strukturelle Ähnlichkeiten zwischen den Verwandtschaftssystemen gewisser Völker und der Sprache aufgezeigt.
Solche Gedanken wurden in der Generativen Grammatik und der Semiotik weiterentwickelt, um - zum Beispiel von Noam Chomsky - zu der Frage geführt zu werden, ob solche den äußeren Abläufen unterlegte "Substrukturen" ein Hinweis auf das Arbeiten des menschlichen Geistes seien.
Resbremerding und Pluto haben kürzlich an verschiedenen Stellen hier im Forum auf dieses Phänomen hingewiesen.
Der Begriff "generativ" weist auf die erzeugende Eigenschaft des Geistes hin und bringt - endlich! - das Element der Beziehung und des Werdens in die Wissenschaften ein. Es werden keine toten Sachen mehr seziert, sondern es wird der Geist in seiner Tätigkeit versucht zu beobachten und zu beschreiben.
1.) Was ist die Bedeutung der Unterschiede in Methodik und Randbedingung?
Die Objektivität der Mathematik und die Wiederholbarkeit von Experimenten ist nun mal wesentlich stärker als die Vermutungen der strukturellen Sprachwissenschaft oder der Argumentationslogik zu Werkintention. Kann man daraus in der Naturwissenschaft tatsächlich sicherer auf eine zugrunde liegende "Realität" schließen als in der Literaturwissenschaft auf de Werkintention? Wie sicher sind die jeweiligen Schlüsse?
2.) Was ist mit anderen Geisteswissenschaften?
Gruß
Thomas