Parallelen Geisteswissenschaft - Naturwissenschaft
Re: Parallelen Geisteswissenschaft - Naturwissenschaft
Dieses Post hatte eine bestimmte Würze, von daher kann ich nicht sagen wie explosiv der Geschmack ist.
Re: Parallelen Geisteswissenschaft - Naturwissenschaft
Der Student ist natürlich durch seine Vermutung vorbelastet.Savonlinna hat geschrieben:So hatte ein katholischer Theologiestudent sich die Frage gestellt, ob J.R.R. Tolkiens literarisches Werk ein „fundamental katholisches Werk“ sei (Tolkien selber war katholisch).
Der Student ging dabei folgendermaßen vor:
Er stellte bestimmte katholische Glaubenssätze vor und suchte mit diesem „Modell“ das literarische Werk Tolkiens ab und „stellte dann fest“, dass vieles in dem literarischen Werk dem katholischen Denken entspräche.
Ergebnis: Ja, Tolkiens literarisches Werk ist ein fundamental katholisches Werk.
Eigentlich istdas Ergebnis nicht, "Tolkiens Werk ist fundamental katholisch".
Richtiger wäre so was: "Tolkiens Werk enthält einige (viele?) fundamental katholische Elemente".
Das was vom "Netz" eingefangen wird, bestätigt zunächst das Modell. Mehr wird auch von keinem Wissenschaftler behauptet.Savonlinna hat geschrieben:Was ich an dieser „Methode“ ablehne, ist: dass man ein Netz über ein Werk wirft und das einfängt, was dem entworfenen Modell entspricht. Alles andere geht durch das Netz durch, wird automatisch aussortiert. Was also theoretisch gegen die Bejahung der gestellten Frage spräche, kommt gar nicht in den Blick.
Auch Ptolemäus hat sein geozentrisches Modell mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln bestätigt. Doch dann kam Kopernikus und veränderte diese Betrachtung. Doch auch Kopernikus' Modell war, wie Newton hundert Jahre später zeigte, zu einfach. Und dann kam Einstein und zeigte, dass unter noch genauerer Betrachtung, selbst das Modell von Newton "zu grobmaschig" war, um alle Beobachtungen richtig zu beschreiben.
Gestern las ich, dass selbst Einsteins Modell die heutigen Beobachtungen von "Firewalls" um Schwarze Löcher nicht genau zu beschreiben vermag. Also wird über kurz oder lang ein noch feinmaschigeres Netz benötigt, um die Welt noch exakter zu beschreiben. So ist das nun mal in der Wissenschaft.
Da es niemals möglich ist, etwas zu beweisen (vgl. Poppers "Schwarze Schwäne") verwendet die Wissenschaft eine Methodik der Näherung an die Wahrheit, mit immer feiner werdenden "Netzen" (wie du die Modelle so schön beschreibst).
"Das Ziel der Wissenschaft ist ... die Wahrheit: Wissenschaft ist Wahrheitssuche.
Und wenn wir auch nie wissen können, ob wir dieses Ziel erreicht haben, so können wir dennoch gute Gründe für die Vermutung haben, daß wir unserem Ziel, der Wahrheit, nähergekommen sind".
Quelle: Karl R. Popper, "Auf der Suche nach einer besseren Welt" (München 1984) 51f.
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Re: Parallelen Geisteswissenschaft - Naturwissenschaft
Nicht einmal das wäre zu folgern. Denn ein literarisches Werk ist ein "System", in dem die Beziehungen zwischen den Einzelteilen eine dominante Rolle spielen.Pluto hat geschrieben: Eigentlich istdas Ergebnis nicht, "Tolkiens Werk ist fundamental katholisch".
Richtiger wäre so was: "Tolkiens Werk enthält einige (viele?) fundamental katholische Elemente".
Also alles, was der Student da rausgefischt hat, könnte, wenn man dieses Beziehungssystem einbeziehen würde, zu dem Schluss führen, dass die Aussage genau gegenteilig ist und eine heftige Kritik des Katholizismus vorliegt.
Letzteres war jetzt nur ein theoretisches Beispiel von mir.
Okay.Pluto hat geschrieben:Das was vom "Netz" eingefangen wird, bestätigt zunächst das Modell. Mehr wird auch von keinem Wissenschaftler behauptet.Savonlinna hat geschrieben:Was ich an dieser „Methode“ ablehne, ist: dass man ein Netz über ein Werk wirft und das einfängt, was dem entworfenen Modell entspricht. Alles andere geht durch das Netz durch, wird automatisch aussortiert. Was also theoretisch gegen die Bejahung der gestellten Frage spräche, kommt gar nicht in den Blick.
Zum Glück sagst Du "beschreiben". Und nicht: "erklären". Das sind nämlich zwei verschiedene Stiefel.Pluto hat geschrieben:Gestern las ich, dass selbst Einsteins Modell die heutigen Beobachtungen von "Firewalls" um Schwarze Löcher nicht genau zu beschreiben vermag. Also wird über kurz oder lang ein noch feinmaschigeres Netz benötigt, um die Welt noch exakter zu beschreiben. So ist das nun mal in der Wissenschaft.
Mich begeistert die Wissenschaft gerade darum, weil sie beschreibt. Und nicht wertet und auch nicht Ursachen erklärt.
Mit Kausalität habe ich mich eben gerade beschäftigt, weil ich heute mal überraschend frei habe. Und festgestellt, dass man in der Wissenschaftstheorie längst auch die Kausalität als Erklärungsmodell hinterfragt.
Das wurde auch schon vor vierzig Jahren hinterfragt, aber ich glaube, war noch nicht so in die Wissenschaftstheorie eingedrungen.
Re: Parallelen Geisteswissenschaft - Naturwissenschaft
Hatte nix mit Glück zu tun — das war Kalkül.Savonlinna hat geschrieben:Zum Glück sagst Du "beschreiben". Und nicht: "erklären". Das sind nämlich zwei verschiedene Stiefel.
Welchen Aspekt der Kausalität hat man denn vor 40 Jahren wissenschaftlich hinterfragt?Savonlinna hat geschrieben:Mit Kausalität habe ich mich eben gerade beschäftigt, weil ich heute mal überraschend frei habe. Und festgestellt, dass man in der Wissenschaftstheorie längst auch die Kausalität als Erklärungsmodell hinterfragt.
Das wurde auch schon vor vierzig Jahren hinterfragt, aber ich glaube, war noch nicht so in die Wissenschaftstheorie eingedrungen.
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Re: Parallelen Geisteswissenschaft - Naturwissenschaft
Ach - um zu punkten?Pluto hat geschrieben:Hatte nix mit Glück zu tun — das war Kalkül.Savonlinna hat geschrieben:Zum Glück sagst Du "beschreiben". Und nicht: "erklären". Das sind nämlich zwei verschiedene Stiefel.
Nicht wissenschaftlich hinterfragt. Wie erwähnt, scheint diese Fragestellung sich in den Theoriebildungen erst so langsam durchzusetzen. Meiner Erinnerung nach lief diese Hinterfragung innerhalb der Philosophie ab.Pluto hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:Mit Kausalität habe ich mich eben gerade beschäftigt, weil ich heute mal überraschend frei habe. Und festgestellt, dass man in der Wissenschaftstheorie längst auch die Kausalität als Erklärungsmodell hinterfragt.
Welchen Aspekt der Kausalität hat man denn vor 40 Jahren wissenschaftlich hinterfragt?
Immerhin hat ja bereits Kant das Fundament dazu gelegt.
Re: Parallelen Geisteswissenschaft - Naturwissenschaft
Keineswegs. Ich halte Wissenschaft ebenfalls für eine analytische Disziplin. Allerdings folgt einer Beobachtung i.d.R. die Schlussfolgerung — diese ist IMO mindestens ebenso wichtig.Savonlinna hat geschrieben:Ach - um zu punkten?Pluto hat geschrieben:Hatte nix mit Glück zu tun — das war Kalkül.
Ja. Kant war wohl der Begründer des moralischen Realismus.Savonlinna hat geschrieben:Immerhin hat ja bereits Kant das Fundament dazu gelegt.
Eine Position die ich übrigens nicht teile. Ich gehöre eher zu den radikalen Konstruktivisten.
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Re: Parallelen Geisteswissenschaft - Naturwissenschaft
Das hat aber doch nichts mit Kausalität zu tun. Kant hat über die Kausalität in seiner "Reinen Vernunft" geschrieben.Pluto hat geschrieben:JSavonlinna hat geschrieben:Immerhin hat ja bereits Kant das Fundament dazu gelegt.
a. Kant war wohl der Begründer des moralischen Realismus.
Oh! Überraschung am frühen Abend. Das hast Du aber bisher gut versteckt.Pluto hat geschrieben:Ich gehöre eher zu den radikalen Konstruktivisten.
Ich sage ja: "Rätsel Mensch"...
Oder hat man den Ersten April auf den Dreiundzwanzigsten April gelegt, und ich hab das nicht mitgekriegt?
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Re: Parallelen Geisteswissenschaft - Naturwissenschaft
Rein sprachlich und logisch muss ich unterscheiden: "Final" - damit, um zu - und kausal "Ursache", "weil".Faransil hat geschrieben:Die Antwort auf die erste Frage ergibt sich aus der ET:Savonlinna hat geschrieben:In der Ideologiekritik kann ich nachweisen, dass das zwei verschiedene Fragestellungen sind - "warum gibt es gelbe Schmetterlinge" und "wird die gelbe Farbe vererbt". Und die Antwort auf die zweite Frage ist nicht die Antwort auf die erste Frage. .
Die Farbe dient entweder der Tarnung oder aber der Abschreckung (Giftig oder Ungenießbar).
Die finalen Konjunktionen weisen auf das Ziel in einer Zukunft hin: "ich gehe ins Bett, damit ich mich ausruhen kann".
Die kausalen Konjunktionen weisen auf eine Vergangenheit hin: "Ich gehe ins Bett, weil ich müde bin."
"Warum gibt es gelbe Schmetterlinge" verlangt also als Antwort eine Ursache aus der Vergangenheit.
"Die Farbe dient der Tarnung oder Abschreckung" hingegen ist eine finale Konstruktion: die gelben Schmetterlinge haben ihre Farbe, damit sie getarnt werden und damit sie abschrecken können.
Das ist also der Unterschied zwischen Ursache und Ziel.
Und jetzt kommt es:
Wer beides gleichsetzt - was grammatisch nicht geht, aber weltanschaulich natürlich geht -, sagt damit:
Es gibt ein Intellegibles - also eine Intelligenz -, das oder die dem Schmetterling eine Farbe gibt, die den Schmetterling schützen will.
Das würde also folgen, wenn man Ursache mit Zweck gleichsetzt.
Man sagt also damit: Die Schmetterlinge sind darum gelb, weil ein intelligenter Jemand oder ein intelligentes Etwas das Ziel hatte - und die Möglichkeit dazu hatte, es zu erreichen -, die Schmetterlinge vor ihren Feinden zu schützen. Dieser Jemand oder dieses Etwas muss sich also im Klaren darüber gewesen sein, was den Schmetterling schützt und was andere abschreckt.
Re: Parallelen Geisteswissenschaft - Naturwissenschaft
Dass eine Intelligenz dem Schmetterling ihre Farbe gibt, ist eine reine Behauptung.Savonlinna hat geschrieben:Und jetzt kommt es:
Wer beides gleichsetzt - was grammatisch nicht geht, aber weltanschaulich natürlich geht -, sagt damit:
Es gibt ein Intellegibles - also eine Intelligenz -, das oder die dem Schmetterling eine Farbe gibt, die den Schmetterling schützen will.
Das würde also folgen, wenn man Ursache mit Zweck gleichsetzt.
Man sagt also damit: Die Schmetterlinge sind darum gelb, weil ein intelligenter Jemand oder ein intelligentes Etwas das Ziel hatte - und die Möglichkeit dazu hatte, es zu erreichen -, die Schmetterlinge vor ihren Feinden zu schützen. Dieser Jemand oder dieses Etwas muss sich also im Klaren darüber gewesen sein, was den Schmetterling schützt und was andere abschreckt.
Der Biologe stellt fest: eine bestimmte Farbe bietet dem Schmetterling Schutz vor Räubern (Insektenfresser). Dieser Schmetterling wird dadurch in die Lage versetzt, häufigeren Nachwuchs zu erzeugen, so dass mit der Zeit Schmetterlinge mit dieser Färbung bessere Überlebenschancen haben. In der Biologie nennt man diesen Vorgang ganz allgemein die "Fixation" eines Gens. Die (Tarn-)Farbe wird danach in (fast) allen Nachkommen einer Art angetroffen.
Die Evolution ist also in diesem Sinn nicht zielgerichtet sondern "blind".
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Re: Parallelen Geisteswissenschaft - Naturwissenschaft
Wird aber implizit andauernd gemacht, wie ich ja gerade nachgewiesen habe. Und gerade von Nicht-Gläubigen.Pluto hat geschrieben:Dass eine Intelligenz dem Schmetterling ihre Farbe gibt, ist eine reine Behauptung.
Richtig. Der Biologe ortet Zusammenhänge und stellt diese dar.Pluto hat geschrieben:Der Biologe stellt fest: eine bestimmte Farbe bietet dem Schmetterling Schutz vor Räubern (Insektenfresser). Dieser Schmetterling wird dadurch in die Lage versetzt, häufigeren Nachwuchs zu erzeugen, so dass mit der Zeit Schmetterlinge mit dieser Färbung bessere Überlebenschancen haben.
Was natürlich genauso eine Behauptung ist.Pluto hat geschrieben:Die Evolution ist also in diesem Sinn nicht zielgerichtet sondern "blind".
Wenn man keinen Grund findet, kann daraus nicht geschlussfolgert werden, dass die Evolution "blind" sei.
Das wäre dann genauso wieder ein Verlassen der Wissenschaft wie oben, wo man der Evolution Intelligenz bescheinigt.