Hallo Savonlinna
Jetzt hatte ich mal zwei Tage keine Zeit, im Forum zu schreiben und ihr seid schon wieder recht weit voran gegangen.
Allerdings nicht so sehr in eine Richtung, die ich für gut halte, denn du wirst Pluto nicht davon überzeugen können, dass seine Schlussfolgerungen aus seiner Weltanschauung kommen und nicht die einzig möglichen sind. Selbst wenn du Recht hast.
Ich kann Plutos Argumentationen in weiten Teilen nachvollziehen, da ich aber im Gegensatz zu ihm, die Grenzen naturwissenschaftlichen Denkens nur zu gut kennengelernt habe, will ich verstehen, was es an Alternativen überhaupt gibt. Ich versuche mal da anzusetzen, wo dur mir das letzte Mal geantwortet hast.
Savonlinna hat geschrieben:
Mein „Unbehagen“ oder „ungutes Gefühl“ jedenfalls betrifft das Herausbrechen bzw. Isolieren eines Elementes aus dem Zusammenhang, ohne dass dieser Zusammenhang mit in die Untersuchung eingeht.
Meine Frage:
Ist das nicht eine wesentliche Eigenschaft der Wissenschaft und tun das die Geisteswissenschaftler nicht auch ständig?
Tatsächlich steckt da ein sehr persönliches Erleben dahinter. Als ich nach meiner Doktorarbeit versucht habe, eine wissenschaftliche Laufbahn zu ergreifen, um letztlich eine Professur zu bekommen, habe ich in meinen Versuchen, wissenschaftlich zu arbeiten, zu umfassend gedacht. Das Problem, das mich interessierte, war zu groß, letztlich konnte ich es nicht bewältigen. Die Folge war, dass ich ein Jahr lang keine Ergebnisse vorzuweisen hatte.
Auch wenn ich danach lernte, kleinere Probleme anzupacken und sehr isolierte Fragen zu untersuchen, war das der Todesstoß meiner wissenschaftlichen Karriere. Mit viel zu wenig Publikationen war es mir unmöglich, eine Habilitationsstelle zu ergattern.
In der Naturwissenschaft ist dieses "isoliert denken" fast schon die Voraussetzung für Fortschritt. Die Erwartung ist, dass sich aus dem Flickenhaufen letztlich ein teppich herauskristallisieren wird. Mein Gefühl ist, dass das bei den Geisteswissenschaften auch so ist.
Savonlinna hat geschrieben:
Ergebnis: Ja, Tolkiens literarisches Werk ist ein fundamental katholisches Werk.
Was ich an dieser „Methode“ ablehne, ist: dass man ein Netz über ein Werk wirft und das einfängt, was dem entworfenen Modell entspricht. Alles andere geht durch das Netz durch, wird automatisch aussortiert. Was also theoretisch gegen die Bejahung der gestellten Frage spräche, kommt gar nicht in den Blick.
Und da vor allem das nicht, was auch ein Wesen von dichterischen Werken ist: dass sie sich durch innere Zusammenhänge auszeichnen. Kein Element des Werkes ist als isoliertes Element beschreibbar, es ist immer Teil eines Gefüges.
Kannst du deinen letzten Satz begründen oder gar beweisen?
Dass man etwas auslässt, wenn man nur einen Aspekt in das Blickfeld nimmt, sollte jedem ernsthaften Forscher klar sein. In der Naturwissenschaft spielt hier der Begriff der "Näherung" die entscheidende Rolle. Dort hat man den Vorteil, dass man über ein Experiment herausfinden kann, ob eine Näherung gut ist.
In der Geisteswissenschaft kann man das nicht, hier muss man argumentativ zeigen, warum der jeweilige Teilaspekt ein guter und wichtiger ist. Die Idee, die dahinter steckt, ist, dass in dem Gefüge der Zusammenhänge, nicht alle Zusammenhänge gleich stark sind. Manche sind stärker, andere schwächer. Schneidet man seinen isolierten Aspekt entlang der schwächeren Zusammenhänge, dann kann man so einen tatsächlich wesentlichen, einzelnen Aspekt des Werkes herauskristallisieren.
In der Naturwissenschaft gibt es dafür mannigfache Beispiele, aber um mal bei deinem Beispiel von Tolkien zu bleiben: Wenn man wüsste, dass Tolkien sehr katholisch gelebt hat und der Katholizismus eine wichtige Rolle bei ihm gespielt hat, dann ist es naheliegend, dass er diesen Aspekt seines Lebens in seinem Werk verschlüsselt hat und man damit womöglich auch eine Handhabe zum Verständnis des Werkes besitzt.
Wäre das so fernliegend?
Savonlinna hat geschrieben:
Wie ich sehe, müsste eigentlich auch die Naturwissenschaft zwischen "Methode" und "Deutung" unterscheiden.
Nicht also nur kommt das Persönliche in der Wahl des Forschungsthemas hinein - wo es ja auch hineinkommen darf -, sondern auch in der Reduzierung einer größeren Fragestellung auf eine andere, quantifizierbare und erforschbare.
In der Physik wird das inzwischen auch gemacht, auch wenn das noch lange nicht zu allen Menschen oder gar in andere Naturwissenschaften vorgedrungen ist.
Ausschlaggebend war hier die Quantenmechanik. Noch Einstein war ganz in der alten Denkweise verhaftet, in der die Methodik und die Deutung direkt koinzidiert haben. Die Objekte, die man physikalisch beschrieb, das waren auch die Objekte der Realität.
Die Quantenmechanik hat das zerstört. Bohr, Heisenberg und Weizäcker haben das erkannt. Sie haben die Methode (die Mathematik der Wellenfunktionen) und die Deutung (was esistiert in Realität) getrennt. Heutzutage hat man sogar teilweise den Anspruch aufgegeben, "die Realität" zu beschreiben.
Deswegen ist die Betonung des Wortes "Modell" so wichtig geworden, denn das beschreibt viel besser, was man macht, als das Wort "Theorie".
Savonlinna hat geschrieben:
Rein sprachlich und logisch muss ich unterscheiden: "Final" - damit, um zu - und kausal "Ursache"
"Warum gibt es gelbe Schmetterlinge" verlangt also als Antwort eine Ursache aus der Vergangenheit.
"Die Farbe dient der Tarnung oder Abschreckung" hingegen ist eine finale Konstruktion: die gelben Schmetterlinge haben ihre Farbe, damit sie getarnt werden und damit sie abschrecken können.
Das ist also der Unterschied zwischen Ursache und Ziel.
Und jetzt kommt es:
Wer beides gleichsetzt - was grammatisch nicht geht, aber weltanschaulich natürlich geht -, sagt damit:
Es gibt ein Intellegibles - also eine Intelligenz -, das oder die dem Schmetterling eine Farbe gibt, die den Schmetterling schützen will.
Das würde also folgen, wenn man Ursache mit Zweck gleichsetzt.
Man sagt also damit: Die Schmetterlinge sind darum gelb, weil ein intelligenter Jemand oder ein intelligentes Etwas das Ziel hatte - und die Möglichkeit dazu hatte, es zu erreichen -, die Schmetterlinge vor ihren Feinden zu schützen. Dieser Jemand oder dieses Etwas muss sich also im Klaren darüber gewesen sein, was den Schmetterling schützt und was andere abschreckt.
Du hast dich hier auf eine recht unnütze Diskussion um Evolutionstheorie eingelassen, was gerade bei Pluto gewisse Argumentationsautomatismen freisetzt, zumal, wenn du argumentativ auf eine Intelligenz hinweist, von der er nun überhaupt nichts hören möchte.
Du siehst auch an den Reaktionen, dass es auf die Ausgangsfrage gar nicht ankommt, die Argumentationen sind automatisiert und unabhängig von Frage und Fragesteller. Diese dienen nur als Trigger.
Was aber zu unterstreichen ist, dass die Frage "Warum" final und kausal verstanden werden kann. Ich halte dieses Fragewort daher für zu ungenau.
Ich frage lieber mit etwas klareren Fragestellungen.
So z.B.
"Wie ist etwas entstanden?" (die Frage nach der Vergangenheit und Kausalität)
"Welchem Zweck dient es?" (die Frage nach dem Ziel)
"Wer hat es gemacht?" (Impliziert eine Annahme, dass es ein Wer gibt. Frage nach dieser Person und seinen Intentionen)
usw.
Ich denke, in der Naturwissenschaft konzentriert man sich in der Regel auf das "Wie", während das "Wer" unbeantwortbar und uninteressant ist.
Das ist bei der Geisteswissenschaft eher anders, wo das "wie" im Sinne des mechanischen Herstellungsprozesses eher uninteressant ist.
So weit.
Gruß
Thomas
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.