Gar nicht! Allerdings gibt es verschiedene hermeneutische Zugänge. Haben die koranischen Verse konkrete Bedeutungen für bestimmte historische Kontexte (bpsw. die Schwerverse in Sure 9), oder sind sie allgemeingültig und universell, da ja der Quran von Allah vom Himmel herabgesandt wurde. Sollte das ewige, verbalinspirierte Wort Allahs nicht normativ, unfehlbar und allgemein verbindlich sein?Novalis hat geschrieben:So ist es. Dieser historischen Lesart bedient sich auch Reza Aslan in seinem Buch, welches ich Dir empfohlen habe. Das ist auch die richtige Vorgehensweise, denn wie kann ein Text ohne Berücksichtigung des Kontextes richtig verstanden werden?Halman hat geschrieben:Der entscheidene Faktor scheint mir die Frage zu sein, ob bspw. die Schwerverse in einem historischen Kontext gelesen und so in der Vergangenheit belassen werden, oder ob sie im Literalsinn auf die Gegenwart normativ übertragen werden. Im Grunde lässt sich auch die Streitdiskussion zwischen Novalis und mir auf diese Streitfrage zurückführen.
Die Hermeneutik hängt meiner Meinung nach von der grundlegenden religiösen Glaubensauffassung ab. Und diese wird maßgeblich von der religiösen Strömung beeinflusst, welcher der Gläubige angehört. Ist er Schiit? Dann misstraut er höchstwahrscheinlich den Hadithen, welche von Aischa überliefert wurden und verehrt wahrscheinlich Ali ibn Abu Talib.
Welcher schiitischen Rechtschule folgt er? Falls er im Iran lebt, dann folgt er vermutlich der Zwölfer-Schia und verehrt die zwölf Imane.
Ist er Türke? Dann könnte er Alevit sein. Sie sind so anders, sie haben nicht einmal Moscheen.
Ist der Sunnit? Dann könnte er ein sufistischer Mystiker sein. Wahrscheinlicher ist, dass er einer der vier sunnitischen Rechtsschulen folgt.
Welcher Rechtsschule folgt er? Folgt er überhaupt einer? Soweit ich weiß folgen Salafisten keiner Rechtschule.
Die persönliche Religiösität wird in der Regel stark von der institutionalisierten Religion beeinflusst und der dort vertretenen Exegese. Beim Islam ist es die Koranexegese, die Tafsīr (تفسير); im sunnitischen Islam basiert sie meines Wissens auf At-Tabarî.
Meine Islamkritik richtet sich NIEMALS gegen die vielfältgen Muslime, sondern betrifft fast immer den sunntischen Islam als institutionalisiertes Glaubenssystem (mit Ausname der sunntisch-sufistischen Strömungen) und insbesondere den Salafismus und Islamismus.
In dem Artikel Der Koran: Verse für Krieg und Frieden von Christa Zöchling erklärt die Journalistin:Novalis hat geschrieben:Der Koran ist genau so wenig vom Himmel gefallen, wie die biblischen Texte. Hinter allen Worten steht eine historische Lebenswirklichkeit (im Falle des Koran eine Offenbarungsperiode von insgesamt 23 Jahren im 7. Jahrhundert und nun schon 1400 Jahre Differenz zur modernen Gesellschaft). In der Koranexegese gibt es darum die Lehre der Offenbarungsanlässe (Asbāb an-nuzūl, arabisch أسباب النزول „Anlässe des Herabkommens“).
Ergänzend verweise ich auf meinen Beitrag vom Mo 4. Apr 2016, 21:17. Dort zitierte ich aus aus einem Buch zu Islam vom SPIEGEL-Buchverlag.Nach islamischem Selbstverständnis stand der Koran auf einer Tafel im Himmel geschrieben und wurde erstmals im Jahr 610 unserer Zeitrechnung in der sogenannten "Nacht der Bestimmung im neunten Monat des Mondjahres, dem Ramadan, auf einen glücklich verheirateten Kaufmann und Karawanenführer in Mekka, den späteren Propheten Mohammed, herabgesandt.
Damit beziehst Du dich auf einen sehr bedeutenen Kalifen, welcher von den Schiiten, Alawiten und Aleviten verehrt wird. Doch die Sunniten sehen ihn ihn einen Verräter.Novalis hat geschrieben:Hinzu kommt, dass es immer der Mensch ist, der einen Text deutet. Schon Ali ibn Abu Talib (der Schwiegersohn von Muhammad) sagte „Nicht der Koran spricht, es sind die Menschen, die ihn sprechen lassen“.
Was sagt die Sunnah über das Verhältnis von Ali und Aischa?
Texte werden nicht nur von einzelnen Menschen gedeutet, sondern auch von Rechtschulen, dem sehr viele Gläubige folgen.
Und diese sind vorwiegend einflussreiche Rechtschulen. So sagen die sunntischen Auslegungen etwas über die vier Rechtschulen der Sunniten aus, welche insbesondere von der sehr einflussreichen Azhar-Universität vertreten werden.Novalis hat geschrieben:Die Art und Weise wie ein Mensch den Text auslegt sagt vorallem etwas über den Ausleger aus ...
Ein Beispiel aus der Christenheit: Ich verstehe die Felsenzusage (Mt 16,18) Jesu an Petrus nicht so, dass damit das Papsttum begründet würde. Darin würden mir vermutlich die Protestanten zustimmen, doch ich vertrete offenkundig auch biblische begründete Standpunkte, welcher die Mehrheit der Christenheit widerspricht:
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Sogesehen gehöre ich im obigen "Kuchen" zu dem einen Prozent "sonstige" und bin nicht repräsentativ. So mag ich zwar meine individuelle Religiöstät und die Bibel verteidigen können, aber mitnichten könnte ich z.B. Kritik am Papsttum an der römisch-katholische Kirche damit entkräften, indem ich die Felsenzusage protestantisch auslege.
Wie repräsentativ ist Deine moderate Sicht des Islam in der islamischen Welt? Vermutlich teilen sie viele liberale Muslime. Doch wie sieht es in den islamischen Staaten der OIC aus?
Der normale Wahnsinn des Islam ist im Bild zu sehen.
Zitat von Henryk M. Broder:
Die Kairoer Erklärung fußt vom ersten bis zum letzten Absatz auf der Scharia und stellt fest, diese sei die „einzig zuständige Quelle für die Auslegung oder Erklärung jedes einzelnen Artikels dieser Erklärung“, das Recht auf freie Meinungsäußerung etwa gilt nur insoweit, wie es nicht die Grundsätze der Scharia verletzt. Es sei verboten, „die Heiligkeit und Würde der Propheten zu verletzen, die moralischen und ethischen Werte auszuhöhlen und die Gesellschaft zu entzweien, sie zu korrumpieren, ihr zu schaden oder ihren Glauben zu schwächen“.
Auf diese Erklärung der Menschenrechte, die nichts anderes als eine Ausführungsbestimmung zur Scharia ist, berufen sich Politiker in Teheran, Islamabad, Riad und Ankara, wenn sie behaupten, auch in ihren Ländern würden Menschenrechte gelten. Wenn Homosexuelle aufgehängt, Ehebrecherinnen gesteinigt, Dissidenten ausgepeitscht, Gotteslästerer zum Tode verurteilt und kritische Journalisten eingekerkert werden, liegen keine Verstöße gegen Menschenrechte vor, denn diese Strafen werden im Einklang mit der Scharia verkündet und vollstreckt. Und die ist die Grundlage der Menschenrechte.
Wer bestimmt, wie dieser edle Diskurs geführt wird? Die Mullahkratieim im Iran für die Imamiten? Die Imame in den Koranschulen? Die vom Westen finanzierten Wahhabiten? Wieviel „Diskurs“ bleibt beim Auswendiglernen von Koransuren, dem ewigen und ungeschaffenen Wort Allahs?Novalis hat geschrieben:Dazu sei noch gesagt, dass sich der Koran selbst als ein „Diskurs“ versteht: „Siehe, es ist ein wahrhaft edler Diskurs” (56:77) Nun, was ist das eigentlich? „Der Begriff Diskurs (von lateinisch discursus „Umherlaufen“) wurde ursprünglich in der Bedeutung „erörternder Vortrag“ oder „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet.“ (Wiki) Es ist also nicht so, dass der Koran absolutistisch irgendetwas von oben herab sagt, dem der Leser dann bedenkenlos zustimmen muss, sondern er versteht sich inhaltlich, als eine Einladung zu einem „hin und her gehenden Gespräch“. Ich persönlich sehe es so, dass die wirkliche Botschaft und Intention dieser Offenbarung keineswegs gewaltfördernd ist, aber es gibt eine bestimmte Auslegung, die aktuell tatsächlich Gewalt produziert – und da ist scharfe Kritik angebracht. Die darf dann auch mal so deutlich sein, wie die von Hamed Abdel Samad.