Thaddäus hat geschrieben:Aber keine dieser dogmatisch auf ihre Begründer verpflichteten Philosophenschulen haben je vertreten, dass man nicht anders denken DÜRFE, um sein persönliches Heil nicht zu verfehlen.
Vordergründig hast Du auf jeden Fall recht - und gemessen an langen Phasen etwa der Kirchengeschichte ebenfalls. - Trotzdem kommt etwas anderes raus, wenn man heutige Erklärungen der Theologie (die mir zugänglich ist) hört.
Von katholischer Seite habe ich jetzt von verschiedenen Seiten gehört, dass "katholikon" eigentlich "allumfassend" heisst" (das ist wahrlich nichts Neues), aber auch andere Religionen umfasst (das habe ich nicht gehofft, von katholischen Theologen zu hören) - im Sinne von: "Jeder, der Gott auf seinem Erkenntnisstand sucht (kann auch ein Moslem sein), gehört bereits jetzt dazu". - Hinzuzufügen ist: "Am Ende wird keiner drum rumkommen, weil es nur EINEN Bahnhof gibt".
Von evangelischer Seite ist zu hören, dass Röm. 2,13ff ("Gesetz des Herzens auch bei Heiden") im Grunde bereits das Ticket Entrée fürs "Himmelreich" ist - was mir dann auch meine katholischen Gesprächspartner bestätigt haben. - Dazu kommt noch, dass das "Zugrundegehen" (Röm. 2,12) völlig unabhängig davon ist, ob man "Christ" ist oder nicht. - Oder im Sinne von Röm. 3,1ff: JEDER ist "Sünder" und JEDER wird gerichtet - in anderen Worten: In das Himmelreich kommt nur der, der vorher Sünder war (siehe auch Gen. 8, 20).
Mit anderen Worten: Die Ideologie der Theologie besteht darin, dass keiner etwas daran ändern kann, am Ende an dem EINEN Bahnhof einzufahren - egal welches Ticket und welche Destination er gelöst hat. - Ist das "Ideologie"? Ich meine nein, weil zumindestens seit dem letzten Jahrhundert jeder tun kann, was er will ("Entscheidungs-Freiheit") - das kann ich bei der IS nicht feststellen. - Und jetzt wäre die Frage, wo diesbezüglich unser modernes Mainstream-Denken steht, ob es also ideologisch formativ sein will.
Thaddäus hat geschrieben:Weder die modernen Wissenschaften, noch die historisch-kritische Exegese sind ideologisch.
Prinzipiell richtig - KEINE Wissenschaft dürfte weltanschaulich, geschweige denn ideologisch sein. - Nur: Hält man sich daran?
Theißen bspw. hält sich daran, weil er ausdrücklich in seinem Vorwort sagt, dass er "methodische Ergebnisse" bringt, also SEINE Methodik durchzieht und diese sauber durchziehen will, und fügt hinzu, dass "das, was wirklich ist" anders sein könnte (und zwar NICHT, weil sich die Quellenlage noch ändern könnte, sondern prinzipiell - ich füge hinzu: weil man nie weiß, ob die Vorannahmen einer Methodik authentisch zu dem sind, was bei einer konkreten Fragestellung der Fall ist).
Andere tun es NICHT - man nehme nur Metzinger und Multiplikatoren wie Kubitza. - Was passiert da? - Aus meiner Sicht ist inzwischen (erst heimlich, dann offen) aus Poppers METHODIK eine Philosophie geworden - der Unterschied:
1) Methodik sagt, unter welchen Bedingungen sie arbeiten will und unter welchen nicht - konkret: "Für uns ist nur relevant, was falsifizierbar ist, weshalb wir uns nicht um Dinge kümmern, die zwar sein können, aber nicht falsifizierbar sind" - voll ok. - Ein Metzger muss schließlich keine Brötchen backen müssen.
2) Philosophie/Weltanschauung sagt in Umkehrung von 1): "Alles, was nicht falsifizierbar ist, IST irrelevant, weil es dann keine Entität/Realität/oä sein kann. - Wir untersuchen also mit dem Kritischen Rationalismus
alles, was sein kann".
Das ist knallharte Ideologie. - Und wenn diese Ideologie an Leuten wie Theißen vorbei auch in die HKM einfließt, können dann Aussagen kommen wie: "Nur die HKM ist zuständig, was an Wirklichkeit vor 2000 Jahren bei Jesus geschehen ist". - Da wendet sich jeder gefestigte Theologe mit einer Mischung aus Entsetzen und Mitleid ab - um sich nachwerfen lassen zu müssen, dass ER Ideologe sei und nicht DIESE ART (!) von historisch-kritischer Exegese. - Das empfindet die Theologie nicht als "Kritik", sondern als Unfähigkeit.
Thaddäus hat geschrieben:Grundannahmen, Prämissen und Axione müssen gleichwohl als evident plausibel gemacht werden. Hier herrscht keine Willkür.
Zustimmung - ich würde der HKM nie vorwerfen, dass sie schlampig im Sinne ihres Systems arbeitet.
Thaddäus hat geschrieben:Die Grundprämisse der kanonischen Exegese ist aber die katholische Dogmatik nach aktuellem Stand als vorgegebene Grundlage der Forschung selbst.
Der kritische Rationalismus ist bei der HKM ebenfalls vorgegebene Grundlage - konkret: Wäre Jesus historisch göttlich, könnte dies innerhalb der HKM prinzipiell nicht berücksichtigt werden - insofern sind die Unterschiede nicht so groß, wie Du es darstellst.
Dazu kommt: Wissenschaft ist doch nicht dazu da, ihre jeweiligen wissenschaftlichen Grundlagen zu "beweisen", sondern AUF dieser Grundlage mit objektiven und nachvollziehbaren Methoden systematisch zu untersuchen. - Die Grundlage ist nicht das Objekt der Forschung - auch nicht bei der kanonischen Exegese.
Oder nimm die grammatisch-historische Exegese/biblisch-kritische Methode: Sie zielt darauf ab, den Text entsprechend der ursprünglichen Absicht des Autors zu verstehen, so weit dies möglich ist. Sie stützt sich dabei auf exakte Analyse von Grammatik und Wortbedeutung ebenso wie auf Elemente der historisch-kritischen Methode wie Formgeschichte, Redaktionsgeschichte, oder Midraschgeschichte. Sie geht jedoch von grundsätzlich
anderen Voraussetzungen aus als die historisch-kritische Methode: Die Bibel wird als Heilige Schrift gesehen, die von Gott inspiriert ist. (vgl. wik)
Sie hat also ANDERE Voraussetzungen als die HKM, die die ihrigen Voraussetzungen hat - beide bearbeiten ihre Voraus-Setzungen wissenschaftlich NICHT, weil sie eben Voraus-Setzungen und nicht wissenschaftliche Objekte sind. - Ob einem auf ihrer Basis folgerichtige Interpretationen der grammatisch-historische Exegese/biblisch-kritische Methode gefallen, steht auf einem anderen Blatt (nachdem diese Methodik gerne von Evangelikalen benutzt wird, würde ich dafür nicht die Hand ins Feuer legen) - aber wissenschaftlich fundiert sind diese Interpretationen, wenn auf einer definierten Grundlage (Voraus-Setzungen) mit objektiven und nachvollziehbaren Methoden systematisch untersucht wird.
Kann man also die Welt auf der Voraus-Setzung wissenschaftlich untersuchen, dass es das Spaghetti-Monster gibt? (Solche Fragen kommen dann) - - - Prinzipiell JA, wenn man auf dieser Voraus-Setzung mit objektiven und nachvollziehbaren Methoden systematisch untersucht. - Die Frage ist, wie weit man damit kommt.
Und jetzt zur Gretchenfrage im Sinne des Threads: Was ist eine "Tatsache"? - Sind "methodische Ergebnisse", die sich dadurch auszeichnen, dass sie als Folge einer Untersuchung mit objektiven und nachvollziehbaren Methoden systematisch entstanden sind, deshalb "Tatsachen"? - Ich weiß es nicht, weil ich nicht weiß, welche Definition heute en vogue ist.
Oder ist "Tatsache" doch "das, was ist" (also unsere ontische Größe) - aber eben um den Preis, dass sie methodisch im besten Fall nur angenähert werden kann? - Ich bin komplett offen - aber bitte kein Ragout.