Wo Muslime Fremde sind, sind wir es auch (Almut Sh. Bruckstein Coruh, Professorin für jüdische Philosophie)

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Novas
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Wo Muslime Fremde sind, sind wir es auch (Almut Sh. Bruckstein Coruh, Professorin für jüdische Philosophie)

Beitrag von Novas »

Islamfeindlichkeit ist eine Spielart des Antisemitismus, denn der Islam und das Judentum sind geistesverwandt und entstammen einer gemeinsamen spirituellen Quelle.

Islam-Debatte in Deutschland. Die jüdisch-christliche Tradition ist eine Erfindung. Auf dem derzeitigen Kampfplatz gibt es vor allem einen Gegner: den Islam. Dabei bedarf es einer neuen Liaison der jüdischen Intellektuellen mit den Muslimen dieses Landes, schreibt die Philosophin Almut Sh. Bruckstein Coruh in ihrem Essay.

Die Republik spricht täglich von der jüdisch-christlichen Tradition des Abendlandes. Gewöhnlich im Sinne der Verteidigung unseres Rechtsstaates und des Grundgesetzes, der freiheitlichen Werte unserer Gesellschaftsordnung, auch gern mit der "Gleichstellung der Geschlechter, Freiheit der Kunst, Meinungs- und Religionsfreiheit". Ein Kampfplatz, auf dem es vor allem einen Gegner gibt, der zu gar keinem Bindestrich zu taugen scheint: der Islam[...] vor mehr als hundert Jahren gab es ähnliche Prozesse gegen den Talmud, in denen das gesamte rabbinische Judentum unter Anklage stand. Jüdische Philosophen haben damals gegen die Eindeutigkeiten der öffentlichen Zuschreibungen eine arabischsprachige Quelle aus dem 13. Jahrhundert zitiert, die überraschend klare Worte findet: Die Moderatoren der Debatte "erklären gar nichts, berühren niemals etwas Tieferes in den Dingen, sie bewegen sich weit entfernt von den Wissenschaften, sie haben nicht einen Funken von jener menschlichen Begabung, die Dinge selbständig zu durchdenken, daher missachten sie auch die Auslegungen der Weisen und lesen traditionelle Texte nach ihrem eigenen begrenzten Verständnis".
Und falls die Kritiker sich gar als Hüter der Aufklärung aufspielen, um die Tradition der anderen verächtlich erscheinen zu lassen, so seien diese wohl "noch größere Idioten als die einfältigen Frommen, noch größere Schwätzer, die ihre Reden mit großem Einfluss und immensem Schaden unter der Intelligentsia losplatzen lassen".

Irrtum der Trennung von Jüdischem und Arabischem
Der Autor dieser scharfen Worte ist der judeo-arabische Philosoph Moses Maimonides (1135-1204). Er ist der größte unter den rabbinischen Gelehrten, gehört zu den arabischsprachigen Juden des Maghreb, seine Philosophie ist Teil der arabischen Aufklärung. Rabbinisches und Islamisches ist für ihn in vielerlei Hinsicht eng verwoben.

Gegen den Versuch, Jüdisches von Arabischem zu trennen oder gar einer jüdisch-christlichen Geschichte zuzuordnen – gegen diesen Irrtum ist schon Jacques Derrida auf dem Skopusberg in Jerusalem in den späten 1980er Jahren vor Studenten der Hebräischen Universität angetreten. Ich war dort, zu dieser Zeit, an der Universität in Jerusalem tätig, in Jerusalem ansässig.
Wie sein Vorgänger fand Derrida klare Worte für die posttraumatische protestantische Konstruktion des jüdisch-christlichen Abendlandes, mitten in Jerusalem, mitten im Krieg: "Oh, wenn Maimonides dies nur gewusst hätte!" Wie er und mit ihm die gesamte jüdische Tradition zum Gespann dieses fantastischen Galoppzugs durch die jüdisch-christlich-abendländische Geschichte würde, was für eine abstruse Konstruktion!
Ignorante Geschichtsvergessenheit
Hat nicht Henryk M. Broder uns gerade erst daran erinnert, unangenehm sicherlich, aber doch wahr, dass der Bindestrich der jüdisch-christlichen Geschichte vor allem eine Geschichte der Glaubenskriege, der Unterdrückung, des Antisemitismus und der Gewalt war, von der Schoah ganz zu schweigen?
Derridas Frage lässt den Phantomschmerz des Verschwindens jüdisch-arabischer Allianzen spüren: "Wenn Maimonides dies nur gewusst hätte, dass man ihn und mit ihm die gesamte jüdische Tradition eines Tages für diesen seltsamen Kampf rekrutieren würde, dass er unwissentlich ein Abkommen mit dem postlutherischen Deutschland unterzeichnet haben würde, würde seine Seele dann in Frieden ruhen?"
Es stockt einem der Atem bei so viel Geschichtsvergessenheit. Es ist gruselig, mit welchem Pathos der geistigen und moralischen Überlegenheit die selbst ernannten Vertreter des jüdisch-christlichen Abendlandes muslimischen Zeitgenossen, ganz egal welcher Nationalität und welcher kulturellen Prägung, die europäische Aufklärung vorhalten. Das Eis bleibt dünn, nach gerade einmal siebzig Jahren.

Keine jüdisch-christliche Tradition

Nein, es gab keine jüdisch-christliche Tradition, sie ist eine Erfindung der europäischen Moderne und ein Lieblingskind der traumatisierten Deutschen. Jüdisch-christlich ist eine Konstruktion, geprägt von einer Genese des Fortschritts, die in der Reformation und in der Französischen Revolution gipfelt.

​​ Erst nach der Schoah hat in Deutschland ein jüdisch-christlicher Dialog begonnen. Dabei entsprachen die Trennlinien dieses Dialogs paradoxerweise ziemlich genau den Trennlinien zwischen muslimischen und christlichen Überzeugungen heute.

Selten gibt es für die offensichtlichen Gemeinsamkeiten dieser beiden Traditionen auch ein öffentliches Zeugnis, wie etwa zur Zeit, als die Republik über Navid Kermanis Äußerungen zum Kreuz in helle Aufregung geriet und Fürsprecher wie Micha Brumlik am Ende doch, wenn auch eher leise, darauf hinwiesen, dass auch für viele Juden – wie soll man es sagen – jede Form der Kreuzestheologie letztlich Blasphemie bleibt[...]

Und erinnern wir uns daran: Im 19. Jahrhundert waren es die Juden, deren Tradition unter dem Generalverdacht verweigerter Integration, doppelter Loyalitäten, primitiver Spiritualität und pathologischer Abgrenzung gegenüber ihren deutschen Mitbürgern stand[...]

"Wo Muslime Fremde sind, sind wir es auch"

Die Fronten haben gewechselt. Was lesen wir heute? "Beim Islam handelt es sich um einen militanten Monotheismus, der seine Herkunft aus der Welt kriegerisch-arabischer Nomaden nicht verleugnen kann" – und "sechs Millionen Muslime in der Bundesrepublik werfen Assimilations- und Integrationsprobleme auf".

In Zeiten, in denen muslimische Traditionen unter Generalverdacht stehen, bedarf es einer erneuten Liaison der jüdischen Intellektuellen mit den Muslimen dieses Landes. Es ist wieder Zeit, dass wir bekennen müssen. Wo Muslime Fremde sind, sind wir es auch.

Almut Sh. Bruckstein Coruh

© Tagesspiegel 2010

Almut Shulamit Bruckstein Coruh ist Fellow am Käte-Hamburger-Kolleg in Bonn und Professorin für jüdische Philosophie mit zahlreichen Veröffentlichungen im In- und Ausland. 2009 kuratierte sie die Ausstellung "Taswir – Islamische Bildwelten und Moderne" im Martin-Gropius-Bau.

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

qantara.de: Die jüdisch-christliche Tradition ist eine Erfindung
Munro

Re: Wo Muslime Fremde sind, sind wir es auch (Almut Sh. Bruckstein Coruh, Professorin für jüdische Philosophie)

Beitrag von Munro »

TASWIR.ORG ist ein zukünftiger redaktionell bearbeiteter digitaler Bild- und Materialatlas, der visuelle, auditive, literarische und andere Artefakte auf themenzentrierte Weise zueinander in Bezug setzt. TASWIR.ORG positioniert Standpunkte von Kuratoren, Künstlern, Schriftstellern und Gelehrten aller Wissensgebiete in einer phänomenologischen Versuchsanordnung des Wissens, die unter Mitarbeit eines internationalen Redaktionsteams gegenwärtig in Arbeit ist und sich an der Gleichzeitigkeit des Diachronen orientiert. TASWIR.ORG hinterfragt die lineare Geschichtsschreibung, wie sie vor allem in Europa herrscht, zugunsten einer variablen Ordnung des Wissens. Mit dem Begriff TASWIR bekennt sich der Atlas zu einer Arbeit an den kulturellen Subtexten Europas, an der Wiederkehr des Verdrängten, an den in Europa vergessenen, besiegten, und überdeckten Quellen vor allem judeo-arabischer, arabischer, persischer, jüdischer und türkisch-osmanischer Provenienz. TASWIR.ORG entwickelt das Archiv einer zukünftigen Ergographie: - einer öffentlichen Arbeit an den Dingen; das die Bezüge zwischen Ost und West neu ordnet und damit auf grundlegende Art und Weise eine politische Alternative zu aller binären Rhetorik des „Kampfs der Kulturen“ bereitstellt.
http://www.recht-als-kultur.de/de/fello ... ein-coruh/

Wenn ich diese überkandidelte und angeberische-pseudo-wissenschaftliche Sprache recht verstehe, will sich da jemand an den Islam ran-schmeißen und das böse böse Christentum verachten.


Oder?
Munro

Re: Wo Muslime Fremde sind, sind wir es auch (Almut Sh. Bruckstein Coruh, Professorin für jüdische Philosophie)

Beitrag von Munro »

Eine neue These?

Es gibt also KEINE christlich-jüdische Freundschaft?
Nur islamisch-jüdische Freundschaften?

Hat da jemand eine Marktlücke entdeckt?
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