Nevis hat geschrieben: ↑So 6. Okt 2019, 14:45
Ich wiederhole mal hartnäckig meine Frage: Sind evangelikale Christen tatsächlich der Ansicht, dass man zwei Männer, die bei-einander liegen, töten müsste, weil sie ein "Greuel" sind in den Augen des Herrn? So wie es im AT geschrieben steht? Denn: Wenn man die Bibel WÖRTLICH nimmt, wie es doch da oft gefordert wird, müsste man der Bibel doch auch in diesem Punkt folgen, oder? - Dass ich NICHT dieser Ansicht bin, ist hoffentlich klar.
"Evangelikale Christen" ist eine viel zu heterogene Menge, als dass man diese Frage mit Ja oder Nein beantworten könnte. Es gibt evangelikale Christen, die Homosexualle derart verachten, dass sie ihnen den Tod wünschen, diese Position findest du aber auch unter nicht-evangelikalen Christen und unter nicht-Christen und gleichzeitig gibt es auch unter Evangelikalen in Sachen Homosexualität extrem liberale Vertreter bis hin zur Befürwortung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Genauso wie sowohl Sklavenhalter als auch Abolitionisten ihre Haltung mit Bibelstellen begründet haben, findet auch zum Thema Sexualität jeder eine passende Auslegung des Textes, die die eigene Position bestätigt. Und natürlich ist jeder der Ansicht, dass SEINE Auslegung die richtige ist. Wie heißt es so schön, wenn du wissen willst, was am Judentum falsch ist, frag einen Muslim, wenn du wissen willst, was am Islam falsch ist, frag einen Katholiken, wenn du wissen willst, was am Katholizismus falsch ist, frag ein Mitglied der Southern Baptist Church und wenn du wissen willst, warum die SBC eine Ausgeburt des Satans ist, frag die Second Southern Baptist Church.
Dass jemand wegen Homosexualität von Evangelikalen aus primär religiösen Gründen gelyncht wird, ist höchst selten und selbst in den seltenen Fällen das Handeln von Einzeltätern.
Ein real existierendes Problem ist vielmehr die psychologische Gewalt, die (natürlich nicht ausschließlich, aber oft) von evangelikalen Gruppierungen auf homosexuelle Mitglieder ausgeübt wird. Dabei geht es nicht um "Der ist schwul, den machen wir fertig", oft entsteht die Gewalt aus einem verqueren Bestreben, helfen zu wollen, nämlich dann wenn Homosexuellen eingeredet wird, dass sie krank und beschädigt sind und sie ihren Platz bei Gott nur erhalten können, wenn sie sich ändern, wenn sie von ihrer "Sünde" ablassen. Wie unglaublich destruktiv dieses Vorgehen ist, sehen viele nicht, aber ich habe leider (primär in den Staaten) aus erster Hand Geschichten gehört, die einem das Herz zerreißen. Da stehen Menschen vor dem Dilemma, dass sie den Platz in ihrer Gemeinschaft verlieren werden, wenn sie diesen "Makel" der Homosexualität nicht überwinden können und können nicht aus ihrer Haut, haben das Gefühl, dass ihr Gott sie verlassen hat, weil sie trotz aufrechter Bemühung halt schwul bleiben und was machst du dann? Offen dazu stehen ist teilweise nicht, denn für jemanden der seine Homosexualität akzeptiert hat die Gemeinschaft weder Platz noch Verständnis, da hast du blitzschnell den Stempel "You just wanna sin" auf der Stirn und wirst leider oft sogar noch von der eigenen Familie enterbt und vor die Tür gesetzt. Also heißt es
fake it till you make it, nur dass du den Zustand des "make it" nie erreichst. Dass dies ein Einweg-Expressticket in die Depression ist, sollte niemanden überraschen. Von der guten alten psychologischen Folter namens
conversion therapy, die total wirksam ist (nicht wirklich, aber das Suizidrisiko steigt massiv an, also führt es unterm Strich wohl doch zu weniger Homosexuellen -
mission accomplished und so) und ja total freiwillig ist (
news flash: die Wahl zwischen CT und gesellschaftlichem Suizid hat mit Freiwilligkeit wenig zu tun) fang ich lieber gar nicht erst an.
Puh, etwas rantig, aber das Thema ist etwas zu
close to home.
Tl;dr: Nein, ich würde sagen 99,9+% aller evangelikaler Christen sind gegen Todesstrafe auf Homosexualität, ABER viele (nicht alle) evangelikale Gemeinschaften zeichnen sich durch ein Klima fehlender Akzeptanz von Homosexualität aus, in dem homosexuelle Mitglieder letztendlich vor der Wahl stehen, ihre sexuelle Identität zu verleugnen oder ihren Platz in der Gemeinschaft zu verlieren und in zu vielen Fällen zerbrechen sie an diesem Druck.