70 Jahre Menschenrechte

Säkularismus
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Rembremerding

70 Jahre Menschenrechte

Beitrag von Rembremerding »

Blicken wir nicht nur auf die unmittelbare Vorgeschichte, sondern richten wir den Blick etwas weiter in die Geschichte zurück, so zeigt sich ein jahrhundertelanger Kampf um die Würde und Freiheit der menschlichen Person. Es ist ein Kampf von zwei Seiten – einerseits aus christlicher Sicht, aus einer langfristigen schöpfungstheologischen und heilsgeschichtlichen Perspektive heraus, bei welcher der Mensch als Abbild Gottes und durch Christus von der Sünde erlöst ist, und der von Gott her Würde hat und frei ist, andererseits aus der kurzfristigen gesellschaftspolitischen und rechtshistorischen Sicht, welche kodifizierte Normen entwickelte, man denke nur an die „Virginia Bill of Rights“ (1776), die „Declaration of Independence“ (1776) oder die „Déclaration des droits de l’homme et du citoyen“ (1789). Sie sind unzweifelhaft Resultate der Aufklärung.

Das christliche Gedankengut wirkt im Kontext der Menschenrechte, was Wesen und Geltungsanspruch entspricht als Freiheit von staatlicher Allmacht. Es wirkt sich aus in Leib-und Lebensrechten, etwa dem Folterverbot, und es begründet die Gleichberechtigung. Sie basiert darauf, dass die Menschen vor Gott alle gleich sind, in aller Unterschiedlichkeit in Fähigkeiten und Glauben. Deshalb kann niemand von den Menschenrechten ausgeschlossen werden und sie können auch nicht graduiert werden, weil der Mensch allein seine Würde besitzt, weil er Mensch. Das bedeutet nicht, dass man als Christ oder dass die Kirche insgesamt keine klare Vorstellung von Gut und Böse hat, von Wahrheit und Irrtum. Es ist auch nicht alles gleich gültig und ins Belieben des Menschen gestellt. Es verlangt aber Toleranz, es verlangt, den Anderen als Person zu achten und dieser menschlichen Person auch dann ein Minimum an Rechten zuzubilligen, wenn deren Vorstellungen derart von der staatlichen Position oder der Kirche oder der Gemeinschaft abweichen, dass sich darin nichts Respektables mehr finden lässt. Dieser Mensch soll dennoch frei sein, seine Meinung sagen dürfen, leben dürfen. Die Trennung von Person und Position (im negativen Modus: von Sünder und Sünde) ist ein Grundgedanke der christlichen Ethik, die sich in der Forderung nach Toleranz gegenüber dem Nicht-Respektablen wiederfindet.

Langfristig war die Triebkraft des Christentums entscheidend, dass die Idee der Menschenrechte, basierend auf der geschöpflichen Würde und Freiheit des Menschen, entstehen konnte. Allerdings hat die Kirche diese Idee kurzfristig im 19. Jahrhundert bei der Umsetzung gebremst, denn sie wollte dem Irrtum keine Freiheit schenken und vertraute nicht genügend dem Gewissen, die Stimme Gottes im Menschen.

Ohne die Institution Kirche, damals noch mit politischer Macht und als weltliche Repräsentation der Christenheit, wäre die Menschenrechtsidee vielleicht früher und flächendeckender umgesetzt worden, ohne das Christentum hingegen und die Kirche, welche die Idee bewahrte, weiterreichte und umsetzte, wäre sie mit Sicherheit gar nicht erst entstanden.
Hiob
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Re: 70 Jahre Menschenrechte

Beitrag von Hiob »

Guter Essay - da würde ich zustimmen.
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Münek
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Re: 70 Jahre Menschenrechte

Beitrag von Münek »

Rembremerding hat geschrieben: Mi 11. Dez 2019, 08:06 Ohne die Institution Kirche, damals noch mit politischer Macht und als weltliche Repräsentation der Christenheit, wäre die Menschenrechtsidee vielleicht früher und flächendeckender umgesetzt worden, ohne das Christentum hingegen und die Kirche, welche die Idee bewahrte, weiterreichte und umsetzte, wäre sie mit Sicherheit gar nicht erst entstanden.
Du betreibst Geschichtsklitterung.

Zum ersten Mal überhaupt wurde im Jahr 1963 das Wort "Menschenrechtserklärung" positiv in einem päpstlichen Dokument erwähnt (Papst Johannes XXIII. in seiner Enzyklika "Pacem in terris"). Davor - also seit 1789 = Ausrufung der Menschenrechte während der Französischen Revolution - wurden alle Menschenrechtserklärungen vom Vatikan entschieden abgelehnt.

Die "Europäische Menschenrechtskonvention" ("Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten") ist
bis heute vom Vatikan NICHT offiziell anerkannt worden. Auch die "Menschenrechtscharta der UN" wird vom Vatikan ab-
gelehnt.
Rembremerding

Re: 70 Jahre Menschenrechte

Beitrag von Rembremerding »

Hiob hat geschrieben: Mi 11. Dez 2019, 12:21 Guter Essay - da würde ich zustimmen.
Danke.

Für einen Christen ist sie zwar nicht weitreichend genug, aber hier kann man die Menschenrechtserklärung nachlesen:
https://www.menschenrechtserklaerung.de ... chte-3157/
Hiob
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Re: 70 Jahre Menschenrechte

Beitrag von Hiob »

Münek hat geschrieben: Fr 13. Dez 2019, 22:01 Du betreibst Geschichtsklitterung.
Nee - Rem denkt weiter zurück - und zwar ins NT. --- Das NT-Menschenbild hat viele Grundlagen für das geschaffen, was man später "Menschenrechte" nannte. - Rem drückt sich sehr differenziert aus:
1) Die weltliche Macht-Institution Kirche hat die Menschensrechts-Idee zum Teil behindert.
2) Das Christentum als Idee hat sie seit Jesus befördert.

Man muss hier politische Geschichte und Ideengeschichte trennen.
CoolLesterSmooth
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Re: 70 Jahre Menschenrechte

Beitrag von CoolLesterSmooth »

Hiob hat geschrieben: Fr 13. Dez 2019, 22:46 Man muss hier politische Geschichte und Ideengeschichte trennen.
Korrekt und gerade dann erscheint Rembremerdings Aussage, die Menschenrechtsidee wäre ohne das Christentum "mit Sicherheit gar nicht erst entstanden" doch arg weit hergeholt, da diese auf Ideen fußt, mit denen man sich bereits Jahrhunderte vor der Entstehung des Christentums befasst hat.
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Hiob
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Re: 70 Jahre Menschenrechte

Beitrag von Hiob »

CoolLesterSmooth hat geschrieben: So 15. Dez 2019, 22:40 Korrekt und gerade dann erscheint Rembremerdings Aussage, die Menschenrechtsidee wäre ohne das Christentum "mit Sicherheit gar nicht erst entstanden" doch arg weit hergeholt, da diese auf Ideen fußt, mit denen man sich bereits Jahrhunderte vor der Entstehung des Christentums befasst hat.
Gab es das in einer Gestalt, dass davon die Gesellschaft maßgeblich geprägt wurde? - Ja - der Begriff der Demokratie kommt aus dem Griechischen. - Aber warum hat sie in der römischen Antike nicht Fuß gefasst?
Rembremerding

Re: 70 Jahre Menschenrechte

Beitrag von Rembremerding »

Hiob hat geschrieben: Mo 16. Dez 2019, 00:18 Ja - der Begriff der Demokratie kommt aus dem Griechischen.
Im antiken Griechenland waren nicht alle Menschen gleich, dazu hat die Demokratie nicht beigetragen. In Sparta wurde eine Kriegerkaste regelrecht herangezüchtet, um die Vergeltung und Rache, die allgemein angewandt wurde, effektiver durchzuführen. Alex d. Gr. wollte erstmals eine Menschheitsfamilie schaffen - mit Gewalt.

Menschenrechte hätten ohne christliche Werte und dessen Glaubensunterbau in Jesus Christus niemals allgemein Geltung erhalten. Man erkennt es an den Gebieten der Welt, in denen dieses Fundament fehlt.
Hiob
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Re: 70 Jahre Menschenrechte

Beitrag von Hiob »

Rembremerding hat geschrieben: Mo 16. Dez 2019, 06:55 Im antiken Griechenland waren nicht alle Menschen gleich, dazu hat die Demokratie nicht beigetragen.
Das sehe ich ähnlich - und genau das war meine Frage an CoolLesterSmooth. - Denn die attische Demokratie war eine strenge Stände-Demokratie, die nur Männer betraf, deren Eltern bereits Bürger Athens gewesen waren. - Also nicht nur Sklaven, sondern auch die meisten Griechen waren ausgeschlossen.
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Thaddäus
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Re: 70 Jahre Menschenrechte

Beitrag von Thaddäus »

Rembremerding hat geschrieben: Mo 16. Dez 2019, 06:55
Hiob hat geschrieben: Mo 16. Dez 2019, 00:18 Ja - der Begriff der Demokratie kommt aus dem Griechischen.
Im antiken Griechenland waren nicht alle Menschen gleich, dazu hat die Demokratie nicht beigetragen. In Sparta wurde eine Kriegerkaste regelrecht herangezüchtet, um die Vergeltung und Rache, die allgemein angewandt wurde, effektiver durchzuführen. Alex d. Gr. wollte erstmals eine Menschheitsfamilie schaffen - mit Gewalt.

Menschenrechte hätten ohne christliche Werte und dessen Glaubensunterbau in Jesus Christus niemals allgemein Geltung erhalten. Man erkennt es an den Gebieten der Welt, in denen dieses Fundament fehlt.
Im frühen Christentum sind ebenfalls nicht alle Menschen gleich. So haben sich die frühen Christen niemals grundsätzlich gegen die Sklavenhaltung ausgesprochen (einige Philosophen aber schon) und Frauen gelten gemäß christlicher Anthropologie ausdrücklich als weniger wert als Männer.
Die frühen Christen vertraten zwar die Ansicht, auch Sklaven und Frauen könnten ins Himmelreich kommen, das hieß aber eben nicht, dass alle Menschen auch auf Erden gleich seien und ihnen gleiche Rechte zukämen.

Ganz im Gegenteil wurde mit dem Verweis auf angebliche Gleichheit im Himmelreich die Ungleichheit auf Erden ausdrücklich als göttlicher Wille gerechtfertigt. Darum mussten die allgemeinen Menschenrechte auch gegen die Kirche, aber auch egegen die christliche Glaubensideologie der angeblich gottgewollten Ungleichheit durchgesetzt werden.

Der Humanismus und die Aufklärung haben die Idee gleicher Rechte gleich freier Menschen in die Welt gebracht und am Ende in der Folge der französischen Revolution durchgesetzt.

Die Menschenrechte können gar nicht aus einer bestimmten Glaubenslehre abgeleitet werden, egal, welche das ist, da sie universal begründet sein müssen. Eine universale Begründung kann aber allein aus der Vernunft erfolgen, nicht aus einem Glaubenssystem heraus, an das man eben glauben muss. An die Vernunft muss man nicht glauben: die hat jeder Mensch und jeder Mensch wendet sie automatisch an, auch wenn nicht jeder Mensch nur nach vernünftigen Maßstäben lebt. Das kann man überhaupt nur, weil man weiß, was es bedeuten würde, nach vernünftigen Maßstäben zu leben.
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