Warum Mystik? - Wege der Mystik

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Faust

Re: Warum Mystik? - Wege der Mystik

Beitrag von Faust »

Hier ein Vortrag von Johannes Hartl zum Thema.
Jede Weltsicht kann zu einem abgesicherten System werden, auch Religion. Mystik ist der Versuch, die Lehrdimension des Glaubens durch einen eigenen Erfahrungsweg zu ergänzen.



Am Anfang seines Vortrags sagt er, dass der Weg des Mystikers darin besteht die Erfahrung mehr in den Mittelpunkt zu rücken, anstelle der Theorie. Da muss ich allerdings eine kleine Korrektur beifügen. Wenn orthodoxe Christen von der „Theoria“ sprechen, dann meinen sie immer die erlebte und erfahrene Gottesschau. Die Theorie von der Lebenspraxis zu trennen und den Glauben einseitig zu verkopfen ist eher ein typisch westliches Problem.
Faust

Re: Warum Mystik? - Wege der Mystik

Beitrag von Faust »

Eine Zusammenfassung des Vortrags von Johannes Hartl :thumbup:

Fünf Wege
Jede Weltsicht kann zu einem abgesicherten System werden, auch Religion. Mystik ist der Versuch, die
Lehrdimension des Glaubens durch einen eigenen Erfahrungsweg zu ergänzen.

5 Betonungen
* Erfahrung statt Theorie
* Innen statt außen
* Weg statt Mitgliedschaft
* Verwandlung statt Regelerfüllung
* Ganzheitlich statt nur Kopf


>> Die mystische Dimension ist Teil des menschlichen Lebens und Glaubens. Sie ist ein Schatz. Dennoch ist bei weitem nicht alles unproblematisch, was es dort gibt. Nur sorgfältige Auseinandersetzung hilft weiter.

5 Traditionen
* östliche Wege (Zen und Yoga): „Einübung ins Nicht-Ich“
* jüdische Mystik (Kabbala und Chassidismus): „Messianischer Alltag“
* Naturmystik und Heidentum: „Zurück zur heiligen Einheit“
* Islamische Mystik (Sufismus): „Erotische Askese“
* christliche Mystik: „Lieben lernen“

5 Erkenntnisse
* Materielles ist nicht das Höchste
* Gott ist Liebe
* Unreinheit im Herzen
* Loslassen
* Notwendigkeit eines Meisters


5 Probleme:
* aber was ist mit normalem Leben?
* wie passt das zu Gottes „strenger“ Seite?
* was passiert mit objektiver Schuld?
* Die Machtfrage: warum sollte ich ganz loslassen wollen?
* „Es gibt auch böse Zauberer“ - welchem Meister kann ich trauen?


>> Jeder folgt einem Weg und niemand kann alle gehen. Wer selbst keinem Meister folgt oder sich eine
objektive Position jenseits aller Lehrer sucht, setzt das eigene Ego als Gott ein. Die Frage lautet schlicht: welcher Meister verdient mein völliges Vertrauen? Jesus bezeichnet sich selbst als einzigen Weg (Joh 14,6) und Meister (Mt 23,10).

5 Einsichten für Christen
* Seit 1500 wird Christentum zunehmen entzaubert und verkopft.
* Spirituelle Suche ist grundsätzlich positiv. (vgl. Mk 12,34; Mt 13,30) Ständige Gefahr des Rückfalls in
Regel-„Religion“. (Gal 3,3)
* Nur Erfahrene können lehren. (vgl. Joh 3,10-11)
* Bescheidwissen ist bequemer als ganzheitliche Verwandlung.

>> Mystik bedeutet echtes Lernen statt Stabilisierung des Ego. Die Liebe zu Gott (Hos 6,6) und die innere
Verwandlung (Ez 36,26) ist das Zentrum des Christentums (Mk 12,19-30). Die Fehlform echter Mystik ist Magie: Manipulation im Dienste des Egos. Wenn das Ego jedoch selbst befallen ist, kann man sich nicht durch spirituelle Aktivität selbst erlösen. Der erste Schritt ist immer der, wie ein Kind zu werden (Mt 18,3).

gebetshaus.org
Faust

Re: Warum Mystik? - Wege der Mystik

Beitrag von Faust »

Spice hat geschrieben: Fr 7. Jun 2019, 16:24Ja, kommen wir wieder zum Thema.
Da es nur eine Wahrheit gibt, müssen alle Religionen in einem gewissen Sinne, zumindest wenn sie zeitgeschichtlich einem bestimmten Entwicklungsstand der Menschheit entsprechen, miteinander übereinstimmen. Bei den ganz alten Religionen wird sich das schwer erweisen lassen. Aber bei denen der "neueren Zeit" ist das durchaus feststellbar. Zum Beispiel sind die Grundlagen, auf denen der Yoga betrieben wird, oder die Lehren des Buddhismus voll im Einklang mit dem christlichen Glauben, wie er von Jesus und den Aposteln verstanden wurde.
Ja sogar frühe Kirchenväter waren noch dieser Ansicht. Zum Beispiel Augustinus:
"Was man gegenwärtig die christliche Religion nennt, bestand schon bei den Alten und fehlte nicht in den Anfängen des Menschengeschlechtes und als Christus im Fleische erschien, erhielt die wahre Religion, die schon vorher vorhanden war, den Namen der christlichen." (Retractiones)
Ja, es gibt verschiedene Annäherungen an die eine Wahrheit. Schon im Rigveda können wir diesen Satz lesen: „Das Sein der Wahrheit ist eines. Die Weisen benennen es nur mit verschiedenen Namen.:thumbup: Mit „Nostra Aeatate“ ist die Kirche auf einem sehr guten Weg, denn dort wird das klar und deutlich formuliert:
Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet. Unablässig aber verkündet sie und muß sie verkündigen Christus, der ist "der Weg, die Wahrheit und das Leben" (Joh 14,6), in dem die Menschen die Fülle des religiösen Lebens finden, in dem Gott alles mit sich versöhnt hat
NOSTRA AETATE

Die Intuition vieler Mensch, die Strahlen jener Wahrheit, die alle Menschen erleuchtet, auch in anderen Religionen erspürt, ist vollkommen richtig. Selbstverständlich! Jesus selbst sagte: „Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.“ (Mt 7,8) - weltweit haben die Menschen nach der Wahrheit gesucht und darum auch immer wieder Strahlen der Wahrheit empfangen. Ich wünsche mir ein Christentum, welches einerseits mutig genug ist an die Wahrheit der eigenen Religion zu glauben, aber andererseits auch demütig genug, um von den anderen Religionen zu lernen. Wahrheit ohne Liebe ist ebenso verkehrt, wie Liebe ohne Wahrheit. Das Besondere bei Christus ist für mich, dass in seiner Person Wahrheit und Liebe auf vollkommene Weise vereint sind. Durch ihn ist ein spiritueller Impuls in die Welt gekommen, der in der Zeit vor Christus noch nicht da war, auch wenn die Buddhisten und Hindus zweifellos einiges verstanden haben. Ich denke dabei an das Hohelied der Liebe.
Prophetisches Reden hat ein Ende,
Zungenrede verstummt,
Erkenntnis vergeht.
Denn Stückwerk ist unser Erkennen,
Stückwerk unser prophetisches Reden;
wenn aber das Vollendete kommt,
vergeht alles Stückwerk.

Als ich ein Kind war,
redete ich wie ein Kind,
dachte wie ein Kind
und urteilte wie ein Kind.
Als ich ein Mann wurde,
legte ich ab, was Kind an mir war.
Jetzt schauen wir in einen Spiegel
und sehen nur rätselhafte Umrisse,
dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht.

Jetzt erkenne ich unvollkommen,
dann aber werde ich durch und durch erkennen,
so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin.
Die Inder haben Jahrtausende nachgedacht, meditiert, die Wahrheit erforscht und sind dabei zu wichtigen Einsichten und Erkenntnissen gekommen, haben manchmal sogar eigene göttliche Offenbarungen empfangen, aber das ist eben nicht alles, nicht der Weisheit letzter Schluss. Vieles von dem, was der Buddhismus und Hinduismus lehren, sind nur „rätselhafte Umrisse“ und „Stückwerk“, aber noch nicht die Fülle der Wahrheit. Vor Christus sahen wir, die ganze Menschheit, selbst mit unsrer höchsten Weisheit nur rätselhafte Umrisse (wenngleich einiges davon schon sehr beachtlich ist ;) ), aber nach ihm können wir die Wahrheit „von Angesicht zu Angesicht“ sehen. In moderner Sprache ausgedrückt: mit dem Erscheinen Christi hat sich ein „Quantensprung des menschlichen Bewusstsein“ ereignet. Das können, dürfen, müssen wir sogar weiter erzählen. Um den Dichter Kahlil Gibran zu zitieren, den ich besonders schätze, weil sich in seiner Person die christliche Mystik und der Sufismus vereinen...
Es ist ein Erwachen in den tiefsten Tiefen der Seele. Es ist eine Idee, die den Geist des Menschen überfällt und seinen Blick öffnet, so dass er das Leben anders sieht. (Die Stürme II, 264)
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Ams

Re: Warum Mystik? - Wege der Mystik

Beitrag von Ams »

Hallo Faust (und Spice) (ja... und alle natürlich auch :-) )

Unter den Titel Christus verstehe ich letztendlich das Bewustsein... welches sich vollständig als Sohn Gottes erkannt hat.

Diese (Selbst)Erkentnis beinhaltet zB die "Überwindung der Welt". Also daß Raum und Materie in ihrer tiefsten Natur... letztendlich... eine Projektion/Produkt/Schöpfung des Bewustseins/Geistes ist.

Man selbst spielt in gewisser Weise eine bestimmte Rolle "in der Welt"... eben als körperlicher Mensch. (und verliert sich ziemlich oft darin dann auch :-) )

Aber unsere wahre Natur... unsere eigentliche Identität... unser wahres Sein... besteht nicht aus "Fleisch und Blut"... sondern... ist das Bewustsein... in welchen sich alles befindet und abspielt... inkl. Raum und Materie.

Das ist der Sohn Gottes. Der die Welt überwunden hat. Und sein Bewustsein heist Christus.

"Wer mir nachfolgen will und mein Jünger sein will... der verleugne sich selbst"...

Dieses "materielle Selbst" muss man überwinden... ablegen... verleugnen.

Und sein höheres Selbst fnden und (an)erkennen. Jenes, welches Eins mit Gott ist.
Jenes... welches über der Welt steht. Welches seinen permanenten Sitz im Reich Gottes.. im Himmel... hat.

In meinen Augen lehrte dies Jesus. Und aber auch Buddha und Krishna.

Ich betrachte den Kern des Hindu- Buddhist- und Christus für identisch.

Sie lehrten die gleiche Sache Gottes... nur in unterschiedlicher Zeit, Kultur, Sprache und Ausdruck.

Aber nicht nur sie. Alle ihre (wahren) Nachfolger ebenso. Bis auf den heutigen Tag.

lg Ams
Rembremerding

Re: Warum Mystik? - Wege der Mystik

Beitrag von Rembremerding »

Es gibt einen Übergang vom guten Menschen zum Heiligen: Für den einen bezeugen und verherrlichen alle Dinge Gott, für den anderen bezeugt und verherrlicht alle Dinge Gott. Für den einen ist die Lebensfreude eine Ursache des Glaubens, für den anderen ein Ergebnis des Glaubens. Diese Verschiedenheit wirkt sich dadurch aus, dass das Gefühl der Abhängigkeit von Gott für den Lebenskünstler ein blendendes Blitzlicht ist, für den Heiligen das helle Tageslicht. Dieser Mystiker steht jenseits der Dinge und sieht sie somit aus dem Göttlichen hervorgehen. Für einen durchschnittlichen Gläubigen mögen die Elemente die Herolde, Soldaten oder Musikkapellen sein, welche die Annäherung an die Stadt eines großen Königs verkünden, der Mystiker begrüßt sie mit einer alten Vertraulichkeit, die fast an Leichtfertigkeit grenzt.

Wenn manche Menschen, vielleicht zynisch sagen: „Gesegnet ist, der nichts erhofft, denn er wird nicht enttäuscht werden“, so sagt der Mystiker in seiner Beglückung und Begeisterung: „Gesegnet ist, der da nichts erwartet, denn er wird sich an allem freuen“. Denn niemand wird nämlich einen Weg finden, auf dem er sich einen Sonnenuntergang oder einen Stern, ja seinen nächsten Atemzug verdienen kann.

Im Mystiker ist dieses Empfinden von großer Dankbarkeit und erhabener Abhängigkeit, die nicht nur Phrase oder Gefühlssache ist. Sie ist das Wesentliche, das der eigentliche Fels ist, auf dem die Wirklichkeit gründet. Ein Christ kann nur sagen, dass jede Einzelheit, jede Sekunde, von Gott her ist, ein Agnostiker, dass sie vom Dasein und der Natur der Dinge abhängen. All dies ist niemals Illusion oder Einbildung, sondern Wahrheit. Das gewöhnliche Leben jedoch beruht weit mehr auf Einbildung, als das Leben der Betrachtung, der Kontemplation des Mystikers. So mag es für einen Atheisten der ärgste Augenblick sein, wenn er sich wahrhaft dankbar fühlt, und da niemand ist, dem er danken kann.

Ein christlicher Mystiker hat die Vernunft eines Kindes, in der es selbstverständlich sein kann, dass Gott alles individuell im Einzelnen geschaffen hat, und nicht abstrakt als „Natur“. Ein Mystiker glaubt an die Mystik, jedoch nicht an Mystifikation. Seine Mystik verschmilzt nicht alle Dinge und löst sie in etwas größerem auf. Seine Mystik leuchtet in der Tageshelle und durchschreitet das Nichts im Dunkeln, keinesfalls ist sie aber im Zwielicht anzutreffen. Ein christlicher Mystiker ist kein Visionär des Ostens, die Mystiker sind, weil zu viel Skepsis sie nicht zu Materialisten macht. Ein christlicher Mystiker blickt positiv auf die Welt und ist damit ein ausgesprochener Realist.
Anthros
Beiträge: 3535
Registriert: Do 2. Jul 2020, 09:25

Re: Warum Mystik? - Wege der Mystik

Beitrag von Anthros »

Rembremerding hat geschrieben: So 20. Jan 2019, 12:25 1. Gott jenseits aller Theorie in seinem Leben erfahren
2. Sich von der äußeren Welt auf seine innere, geistige Welt hinwenden
3. Dies als Weg betrachten und nicht als Mitgliedschaft, sondern als Teilhabe am dreifaltigen Gott
4. Sich verwandeln lassen und keine Regeln, Gesetze und Gebote nur erfüllen
5. Sich ganzheitlich mit Leib, Seele und Geist verwandeln lassen und nicht nur im Verstand
Seinen Einbildungen folgen und dazu andere Religionssysteme missbrauchen.
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