Claymore hat geschrieben: ↑Mi 11. Jan 2023, 21:55
Thaddäus hat geschrieben: ↑Mi 11. Jan 2023, 14:54Dieses Problem stellt sich nicht erst bei Klon-Kopien von Menschen. Es stellt sich bereits bei jeder Seele, die als den Tod über-lebende individuelle Person ohne Körper gedacht wird, falls diese Vorstellung überhaupt irgendeinen Sinn ergibt, - was ich bezweifle.
Aber das Problem ist nicht anders als wie im gewöhnlichen irdischen Leben. Da erinnert man sich vielleicht an sein 12-jähriges Ich und die Vorstellung "das war mal ich" mutet einen seltsam an.
Das Problem ist sogar ein fundamental anderes, denn wenn ich mich an mein 12-jähriges Ich zurück-erinnere, bin ich zwischenzeitlich in der Regel nicht verstorben.
Du folgst hier ganz den überaus naiven Vorstellungen von Spice, der nicht nur geradezu einfältige philosophische Vorstellung von einer "lebendigen Seele" hat, die - obzwar körperlos - per schlichter esoterischer Defintion offenbar selbstverständlich über einen Sinnesapparat verfügt, der freilich nicht an das körperliche Vorhandensein von Augen, Sehnerven, Ohren, Trommelfellen, Nervenbahnen, Rezeptoren und cerebralen Seh- und Hörzentrum etc. gebunden ist. Man fragt sich, ob eine solche "lebendige Seele" auch schmecken, riechen, und tasten kann, ob ihr warm oder kalt sein kann, ob sie sich etwa selbst spüren kann, wie Lebende ihren eigenen Körper jederzeit spüren usw.
Wie unser esoterischer Freund Spice nimmst du den Tod nicht ernst und auch nicht die Tatsache, der damit normalerweise vebundenen Auflösung des Körpers. Wenn ich mich als Ältere an mein 12-jähriges Ich erinnere und an Begebenheiten aus dieser Zeit, dann tue ich das aus dem Gefühl einer ungebrochenen Identität meines Ichs heraus, welches Kant übrigens als
empirisches Ich bezeichnet, als jenes Ich,
"welches alle meine Vorstellungen muss begleiten können".
Spice und du behandelt den Tod nicht als Tod, nicht als Grenze des Lebens. Trotz Tod, so scheint ihr argumentieren zu wollen, geht alles so weiter wie zuvor. Ich bin noch mein Ich, wenn auch ohne Körper. Aber das macht nichts, denn die - und nun kommt die große Zauberei: "lebendige Seele" hat Augen zu sehen ohne Augen zu haben und Ohren zu hören ohne Ohren zu haben usw.
Wenn solche esoterischen Zaubereien korrekt wären und nicht bloße Spintisiererei, dann gäbe es von Anfang an keinen
Tod, verstanden als
"die Möglichkeit der schlechthinnigen Daseinsunmöglichkeit" (Martin Heidegger, Sein und Zeit).
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 11. Jan 2023, 21:55
Bei der Wiederauferstehung als "materielles Wiederherstellen des Körpers" ist das Problem sehr viel simpler und fundamentaler. Denn die Kopie könnte bereits vor dem Tod erstellt werden. Dann existiert man ... doppelt? Das ist doch völlig absurd. Man ist also
nicht seine Kopie. Und dass sich die eigene Existenz und die Existenz der Kopie nicht zeitlich überschneidet, ändert daran nichts.
Das sehe ich ebenfalls so. Und was ist hieraus zu schließen?
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 11. Jan 2023, 21:55
Die personale Identität, die Antwort auf "was macht mich aus", ist natürlich wie jede der großen Fragen philosophisch ungelöst.
Aber es geht nicht darum, was meine personale Identität ausmacht, was sie inhaltlich ist. Die Frage ist vielmehr, wie personale Identität gedacht werden kann, obwohl man zwischenzeitlich stirbt und seinen Körper verliert (nach gewöhnlicher Vorstellung), was immer diese personale Identität inhaltlich-psychologisch oder geistig ausmacht. Die christliche Vorstellung einer physischen, einer körperlichen Auferstehung versucht der Bedeutung des Leibes für die Denkbarkeit personaler Identität über den Tod hinaus, ja gerade gerecht zu werden. Nur stößt diese Vorstellung auf genau das von dir bemerkte Problem, inwiefern nicht einfach eine Kopie von einem selbst erschaffen wird. Versteht man (wie Leibniz) unter Identität, dass Etwas dann mit sich selbst
identisch ist, wenn exakt dieselben Eigenschaften vorliegen, dann gibt es eigentlich keine Kopien, sondern plötzlich zwei Originale. Das heißt, durch Tod und Wiederauferstehung einer mit der verstorbenen Person identischen "lebendigen Seele", entsteht das Problem, der Kopie bzw. Verdoppelung der Person.
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 11. Jan 2023, 21:55
Du bist vielleicht analytische Philosophin, Argentinierin, dies und das, aber das ist sicher alles keine essenzielle Eigenschaft, ohne diese Eigenschaften wärst Du immer noch Du.
Da bin ich mir - ehrlich gesagt - nicht so sicher.
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 11. Jan 2023, 21:55
Bei der Frage nach dieser Essenz, also was den Menschen
wesentlich ausmacht, haben sich zwei Lager gebildet:
- psychische Kontinuität (Selbstbewusstsein)
- biologische Kontinuität (Lebewesen)
Beide leiden unter offensichtlichen Problemen (Amnesie; siamesische Zwillinge, die sich wichtige Organe teilen ...).
Nun, nach Sartre besteht die Essenz des Menschen darin, dass er gerade keine hat, weshalb die Existenz der Essenz vorausgeht. Ich wähle in meiner Existenz, wer und was ich sein werde, dadurch dass ich mich so und so verhalte. Was ist, wenn die Essenz des Menschen nicht seine Seele ist, sondern Menschen permanent neu wählen müssen und sich selbst immer wieder neu als Menschen bestimmen müssen?
Claymore hat geschrieben: ↑Mi 11. Jan 2023, 21:55
Dann kann man die Essenz auch einfach verneinen, und den Menschen wie ein Artefakt betrachten: Ein Gebäude wurde "beschädigt", wenn es in groben Zügen noch vorhanden war. Es wurde "zerstört", wenn die Schäden zu groß sind. Aber dann sagt man: Diese Trennung ist nicht eindeutig und nur Konvention, und so sollten wir auch die personale Identität behandeln. Ein Pseudoproblem, wie das Schiff des Theseus.
Nun, die philosophischen Probleme, die du oben ansprichst, sind da. Sie zu Pseudoproblemen zu erklären, löst sie nicht. Das Schiff des Theseus sind wir, die wir leben und immer älter werden und reifer und uns irgendwann an unser 12-jähriges Ich erinnern, dass so ganz anders war, als wir heute sind. Und doch wissen wir, dass dieses 12-jährige Ich ICH war, es ist MEIN 12-jähriges Ich, nicht das eines anderen. Wieviele Planken und Masten sind bisher ausgetauscht worden und doch doch wir fahren auf immer demselben Schiff.
Aber dieses Schiff ist auf seinem Weg nie untergegangen. Genau das aber bedeutet es, zu sterben.
Folgt man den naiven Vorstellungen Spices, dann kommt aus den Fluten einfach ein neues Schiff des Theseus empor mit wunderbaren neuen Eigenschaften wie der fliegende Holländer.