Hiob hat geschrieben: ↑Sa 30. Dez 2023, 17:20
Ich habe verstanden, dass für Dich der Umstand, dass homosexuelle Paare in ihrer fundamental-theologischen Gering-Belastbarkeit nicht nur sich selbst, sondern ihre Verbindung als gesegnet verstehen, von großer Bedeutung ist. Das kann ich echt nachvollziehen. In diesem Kontext stimme ich (stellvertretend für Betroffene) Deinem Satz zu: "Die "Laien-Interpretation" ist von diesem Gesichtspunkt die entscheidende". Ich sehe nicht, warum Du Dich hier falsch verstanden fühlst.
Die Laien treffen hier die weitreichenden Entscheidungen, wie "meine homosexuelle Beziehung ist keine Sünde", also ist die Laien-Interpretation entscheidend. Du hast das aber mehrfach auf den 2+4-Vertrag bezogen. Und da stimmt das nicht, da waren Profis am Werk, die genau wussten, worauf sie sich einlassen.
Hiob hat geschrieben: ↑Sa 30. Dez 2023, 17:20Ah - ok. - Formal ist dies ohnehin richtig, aber meinst Du wirklich, dass die Russen dies so sehen? Noch anders: Meinst Du, dass Russlandkenner jemals daran gezweifelt haben, dass die Russen so empfinden würden? Helmut Schmitt hat kurz vor seinem Tod gemeint (/kann man in youtube hören), dass auch er als Russe beunruhigt wäre, wenn nach und nach die NATO-Stellungen immer näher kämen. - Mit anderen Worten: Was bringt es, wenn man sich einredet, dies sei ein Vertragswerk gewesen, das in Ordnung sei, wenn man gleichzeitig 100tausende Tote an der ukrainisch-russischen Front hat, die Folge dessen sind, dass dieses Vertragswerk offenbar nicht auf eine win-win-orientierte europäische Sicherheitsarchitektur angelegt war?
Klar hätte man sich sagen können, dass das propagandistisch ausgeschlachtet wird. Tja ... ja.
Schmidt ist ein Kind seiner Zeit, der Ära des "Wandels durch Anbiederung". Angst und übermäßiges Verständnis für das, was Russland macht, egal wie fragwürdig es ist, um die Sache statisch einzufrieren - bloß nichts dran rühren.
Aber real ist da nichts bis wenig dran. Hier werden die militärtechnischen "Fortschritte" der letzten Jahrzehnte ignoriert - räumliche Nähe macht einfach nicht mehr so viel aus. Auch die großen Unterschiede (z. B. in der Präzision) zwischen Mittelstreckenraketen und Interkontinentalraketen sind ziemlich aufgehoben.
Letztlich empört die NATO-Ost-Ausweitung, weil sie die Möglichkeit, sich diese Länder wieder einzuverleiben, unmöglich macht. Zumindest verschwinden sie aus dem Einflussbereich. Und dann ist da noch die symbolische Wirkung...
Aber würde Putin irgendwas von den "Bedrohungen" ernst nehmen, hätte er seine Truppen an der NATO-Grenze nicht extrem ausgedünnt.
Hiob hat geschrieben: ↑Sa 30. Dez 2023, 17:20
Ich bin jetzt tatsächlich überfragt, wo Russland außerhalb seines eigentlichen Staatsgebiets Kolonien hatte. Meinst Du Kuba? - Oder meinst Du angrenzende Gebiete anderer Ethnien? Das gibt es in der Tat - man schaue nur nach China mit seinen Uiguren oder eben nach Russland mit seinen Usbekistans, etc oder nach Amerika, wo die USA den Norden Mexikos annektiert hat. Das kann man böse finden, aber es ist normal.
Ich meine die Binnenkolonisation, z. B. Sibirien, Gebiete der Tartaren, etc.. Ich hab doch geschrieben "von Moskowien" aus. All diese Völker in Asien wurden kolonisiert.
Und es ist mir schon klar, dass die USA mehr als ein unrühmliches Kapitel in ihrer Geschichte haben. Von der Sklaverei bis zum "Indianer-Entfernungs-Gesetz".
Aber es geht nicht darum, da irgendwas albern aufzurechnen. Oder gar rückgängig zu machen - das ist sowieso illusorisch. Sondern um die Frage:
Wurde etwas aus den Verbrechen der Geschichte gelernt?
Zumindest gilt: Kein US-amerikanischer Politiker stellt sich heute ans Rednerpult und redet von der "vorherrschenden Stellung der Gründer, den weißen Angelsachsen, in den USA". Keiner.
Die USA sind ein multi-ethnischer Staat mit einer unrühmlichen Geschichte. Aber das Selbstverständnis ist heute, dass es keine "hervorragende Ethnie" in diesem multiethnischen Staat gibt.
Im Falle Russlands kann man konstatieren:
Es wurde nichts gelernt.
In anderen ehemaligen Sowjet-Republiken gibt es russische Minderheiten. Die nimmt Putin als Vorwand, Ärger zu machen, indem er sich als ihr Fürsprecher darstellt (bis hin zum Krieg). Aber was ist denn mit den nicht-russischen Ethnien in Russland? Wenn Russland den Russen gehört, wie Putin behauptet, wenn er so sehr auf dem Selbstbestimmungsrecht der Völker herumreitet, dann sollte er das denen ganz genauso zugestehen.
Stattdessen hat Russland im 21. Jahrhundert immer noch das Selbstverständnis einer Kolonialmacht.
Das Selbstbestimmungsrecht der Völker gilt für Russen.
Aber es gilt nicht für: Tataren, Ukrainer, Tschetschenen, Georgier, Armenier, Kasachen, etc.
Ein multiethnischer Staat, in dem ein Volk als besonders auserkoren ist, bedeutet:
es wurde nichts gelernt, absolut nichts. Besonders schwer wiegt das, wenn man die stalinistischen Verbrechen betrachtet.
Hiob hat geschrieben: ↑Sa 30. Dez 2023, 17:20Das ist nicht russland-spezifisch. Die Hälfte der Menschen in New Mexico spricht spanisch, in Puerto Rico sogar über 90%. Der Nationalstaats-Gedanke ist nicht mehr erste Wahl. Allerdings waren manche Gebietsgewinne mit Gewalt verbunden - aber das ist so seit 10.000 Jahren.
Das folgende hast Du überlesen:
Claymore hat geschrieben: ↑Sa 30. Dez 2023, 13:31"Russland den Russen", und wer da sonst noch lebt, ist irrelevant?
Es ist
per se natürlich kein Problem, dass Russland kulturell und ethnisch heterogen ist. Es wird aber zum Problem, wenn Putin auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker pocht und damit nur die ethnischen Russen meint, als deren Retter er sich aufführt.
Das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" wird im Westen anders interpretiert, man versteht unter Volk dann nicht Ethnie wie Putin. Er macht das also, um sich vom Westen abzugrenzen. Was hierzulande bei den Rechten sicher gut ankommt.
Er macht es aber auf scheinheilige Art, mit der Einstellung einer Kolonialmacht. "Selbstbestimmungsrecht der Völker" für die Russen. Nicht für die anderen Völker!
Hiob hat geschrieben: ↑Sa 30. Dez 2023, 17:20Man stelle sich aus Sicht Russlands vor: Russland will eine Freihandelszone, die trotz mannigfacher gegenseitiger Absichtserklärungen nicht angegangen wird (warum wohl?) - statttdessen gibt es ein Abkommen nur mit der Ukraine. Die Message dabei ist: "Wir, der Westen, wollen keine paneuropäische/paneurasische Sicherheitsarchitektur, sondern einen Bindung von möglichst vielen Staaten westlich von Russland an den Westen." Und da soll Russland nicht ausflippen?
Ja, sie flippen aus, wie ein Kind, das anderen Kindern das Spielzeug geklaut hat und es nun wieder hergeben soll.
In deiner Formulierung wirkt es so, als hätte die Initiative beim Westen gelegen. Aber all diese Länder wurden zu Sowjetzeiten brutal unterdrückt. Dass die keine Lust mehr auf Russland haben und ihnen die Amis wie engelsgleiche Wesen vorkommen, ist wenig verwunderlich. Hätte man es ihnen aktiv versagen sollen, sich anzuschließen?
Übrigens: 2007 ... das war nach Tschetschenien. Das war nach der Unterstützung der separatistischen Gebiete in Georgien wie Abchasien (einer Regierung, die
tatsächlich ethnische Säuberungen durchführte). Da konnte man doch schon ahnen, wie sich die Sache entwickeln würde!
Realpolitisch ist "Kooperation" mit einem Staat, der diese Ansprüche hat, sich so aufführt, und der auch hier in Deutschland
massiv korrumpierend seine Finger drin hatte (Schröder, dem übrigens bereits vor seiner Abwahl einen Posten bei Gazprom zugesichert war, ja, das ganze Schröder-Netzwerk; Unterstützung von extremistischen Parteien und Gruppen etc.), vielleicht sinnvoll. Aber auf lange Sicht hat das keine Zukunft.
Ein Gegenpol gegen die USA schafft man friedlich und ohne fiese Tricks. Wenn das nicht möglich ist, kann man es gleich bleiben lasen.
Hiob hat geschrieben: ↑Sa 30. Dez 2023, 17:20
Würde mich wundern. Stelle Dir eine EU vor, die in engem Austausch mit Russland ist und somit Planungssicherheit und gute Preise bei Rohstoffen hat und umgekehrt Technologie-Transfer betreibt. Meinst Du, Russland würde damit ohne konkreten Grund Waffen bauen? Russland hat seine Waffenkammern erst wieder so richtig reaktiviert, als die westlichen Spannungen systemisch wurden.
Wie kannst Du das nur immer noch ernst nehmen, nach all dem was passiert ist?
Die Ukraine wurde denuklearisiert. Sie haben ihre Atomwaffen an Russland übergeben. Dafür hat Russland 1994 die Souveränität der Ukraine garantiert, als Schutzmacht. Jetzt greift die Schutzmacht an. Solche Vertragsbrüche scheinen Dich eher weniger zu kümmern ...
Und
noch mehr Nachsicht,
noch mehr guter Wille,
noch mehr Vertrauen hätten besser funktioniert?
Ich hab das Gefühl, umso schlimmer Russland agiert, umso wilder wird es verteidigt.
Der Wandel durch Anbiederung wurde eindeutig widerlegt und es ist mehr als plausibel, dass wir in einer besseren Lage wären, wenn wir nicht so lange auf diesem Gleis gefahren wären. Das heißt i. Ü. nicht, dass ich irgendwelche Kriegseinsätze o. ä. befürworte.