Re: Descartes, OT von Kommt die (digitale) Technik vom Teufel?
Verfasst: Mo 13. Sep 2021, 23:43
Und um das Argument Descartes’ von einer unüberbrückbaren Kluft zwischen Wahrnehmung und Sein überhaupt starten zu können, muss man doch verstehen
Natürlich ist “Sirenen existieren nicht” ein verständlicher Satz. Dazu müssen wir nicht an realen Sirenen erlernen, was ein eine Sirene sein soll. Mischwesen aus Mensch und Vogel so und so … reicht aus. Also ist auch die Negation ihrer Existenz, unabhängig davon ob wahr oder falsch, verständlich.
Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen solchen aus bekannten Elementen zusammengesetzten Fantasiegeschöpfen und konkreten, gewöhnlichen Objekten an sich. Kann man “Gewöhnliche Objekte existieren nicht wirklich” tatsächlich verstehen, wenn die These nicht falsch ist? D. h. man nie erlernte, was es bedeutet, dass sie “wirklich existieren”? Meiner Ansicht nach nicht. Ich tendiere dazu, dass “gewöhnliche Objekte existieren nicht” nur entweder falsch oder unverständlich sein kann.
Dazuhin ist es doch so, dass das cartesische res cogitans ein einigermaßen substantielles Ich bezeichnet, das in der Zeit existiert / persistiert. Nicht bloß ein Bewusstseinmoment, nicht bloß ein Sammelsurium unzusammenhängender Eindrücke. Wenn wir in der Nacht zwei Träume haben und im einen träumen wir vom Sommer (Traum 1) und im anderen vom Herbst (Traum 2), so werden wir doch nicht, wenn wir erwacht sind, und uns an beide erinnern können, schließen, dass sich Traum 1 vor Traum 2 ereignet haben muss, weil der Herbst auf den Sommer folgt. Oftmals haben wir keine Ahnung, welcher Traum sich zuerst ereignet hat. Generell löst sich das Zeitgefühl auf, wenn wir in Morpheus Armen sind.
Aber bei unseren gewöhnlichen Erinnerungen gehen wir so vor. Die mutmaßliche Außenwelt fungiert als Zeitgeber. Zu einem substantiellen Ich kommt man also erst, wenn man die Außenwelt wenigstens in minimaler Form als real akzeptiert hat, d. h. annimmt, dass sich außerhalb meiner selbst Veränderungen abspielen, die auf mein Erleben einwirken.
Versuche mal deine Autobiographie darzulegen ohne dich auf die durch die Außenwelt eingeprägte Ordnung zu beziehen: Es wäre nur ein Durcheinander von unzusammenhängenden Episoden. Erst damit gibt es eine Verankerung des Ichs in der Zeit. Von daher kann ich Descartes’ Argumentation nicht nachvollziehen.
Ein Vorurteil ist es dann, wenn man keinerlei Rechtfertigung dafür geben kann. Mir ist nicht klar, warum Philosophien, Wissenschaft und Theologie auf solchen Vorurteilen basieren müssen. Vielleicht tun sie es teilweise – das ist dann aber ihr Problem.
Ich streite natürlich nicht ab, dass ich auch Vorurteile habe. Kein Mensch ist frei davon. Aber ich verbräme diese nicht als “Vorannahmen”. Eine “Vorannahme” ist doch eine Überzeugung, die man nicht begründen, nicht rechtfertigen, nicht plausibilisieren kann. Zu der man nicht einmal irgendetwas erhellendes produzieren kann. Also ist Vorurteil das angebrachtere Wort.
Sicher muss man aus rein praktischen Gründen irgendwann abbrechen und sagen “Es ist 2 Uhr nachts, wir machen jetzt Schluss und gehen ins Bett”. D. h. die Begründungskette muss irgendwann zu ihrem Ende kommen, da unsere Zeit begrenzt ist. So reißt einem auch irgendwann der Geduldsfaden bei Kindern, die immer und immer weiter fragen. Das Gefühl dabei ist jedoch ein ganz anderes als beim Dogmatiker. Man ist bloß genervt (würde aber die nächste Frage beantworten wenn dann Ruhe wäre). Der Dogmatiker dagegen sieht, wenn man das Dogma erreicht hat, nachfragen als persönliche Attacke.
Wenn man also eine sogenannte “Vorannahme” ausmachen kann, d. h. den präzisen Punkt wo gilt: “Hier wird das unhinterfragbare Dogma gesetzt”, dann ist das ein schlechtes Zeichen.
Natürlich gibt es Axiome oder Grundsätze von Systemen, die nicht durch die Methoden dieser Systeme gerechtfertigt werden können. Das ist harmlos, wird aber andauernd in diesem Thread mit Vorurteilen / Dogmen gleichgesetzt.
Ein anderer Punkt ist spiritueller / religiöser Glaube. Aber auch da finde ich “Vorannahme” extrem unangebracht / verzerrend. Es ist vielmehr eine Art “Vertrauensvorschuss”, der nichts mit solchem Dogmatismus zu tun hat (so sollte es sein – es gibt natürlich viele dogmatische Gläubige). Ich meine, Gott ist – obwohl natürlich unendlich mehr – auch eine Person.
Ich habe keine Ahnung was “Aufklärung” tun sollte. Die reale Epoche der Aufklärung – ungeschönt betrachtet – reicht mir schon um definitiv gegen ein erneutes Aufwärmen dieser Tradition zu sein.
Und das Problem an der christlichen Definition ist, dass ein Mensch ein Ich nicht abgesprochen bekommt, wenn er nicht nach Gott fragt (z. B. wegen “Sowjet-Erziehung”) oder nicht “cogito ergo sum” denkt. Es geht also sowieso um einen potentialis. Von daher ist “das Känguruh kann es (jetzt) nicht” kein so schlagendes Argument wie du annimmst.
- was “(bloße) Wahrnehmung” ist… und dafür
- was es bedeutet, wenn uns etwas nur so und so erscheint, aber eben nicht tatsächlich so ist (Einbildung)… und dafür
- was es für die gewöhnlichen Objekte unserer Umgebung bedeutet tatsächlich zu existieren.
Natürlich ist “Sirenen existieren nicht” ein verständlicher Satz. Dazu müssen wir nicht an realen Sirenen erlernen, was ein eine Sirene sein soll. Mischwesen aus Mensch und Vogel so und so … reicht aus. Also ist auch die Negation ihrer Existenz, unabhängig davon ob wahr oder falsch, verständlich.
Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen solchen aus bekannten Elementen zusammengesetzten Fantasiegeschöpfen und konkreten, gewöhnlichen Objekten an sich. Kann man “Gewöhnliche Objekte existieren nicht wirklich” tatsächlich verstehen, wenn die These nicht falsch ist? D. h. man nie erlernte, was es bedeutet, dass sie “wirklich existieren”? Meiner Ansicht nach nicht. Ich tendiere dazu, dass “gewöhnliche Objekte existieren nicht” nur entweder falsch oder unverständlich sein kann.
Dazuhin ist es doch so, dass das cartesische res cogitans ein einigermaßen substantielles Ich bezeichnet, das in der Zeit existiert / persistiert. Nicht bloß ein Bewusstseinmoment, nicht bloß ein Sammelsurium unzusammenhängender Eindrücke. Wenn wir in der Nacht zwei Träume haben und im einen träumen wir vom Sommer (Traum 1) und im anderen vom Herbst (Traum 2), so werden wir doch nicht, wenn wir erwacht sind, und uns an beide erinnern können, schließen, dass sich Traum 1 vor Traum 2 ereignet haben muss, weil der Herbst auf den Sommer folgt. Oftmals haben wir keine Ahnung, welcher Traum sich zuerst ereignet hat. Generell löst sich das Zeitgefühl auf, wenn wir in Morpheus Armen sind.
Aber bei unseren gewöhnlichen Erinnerungen gehen wir so vor. Die mutmaßliche Außenwelt fungiert als Zeitgeber. Zu einem substantiellen Ich kommt man also erst, wenn man die Außenwelt wenigstens in minimaler Form als real akzeptiert hat, d. h. annimmt, dass sich außerhalb meiner selbst Veränderungen abspielen, die auf mein Erleben einwirken.
Versuche mal deine Autobiographie darzulegen ohne dich auf die durch die Außenwelt eingeprägte Ordnung zu beziehen: Es wäre nur ein Durcheinander von unzusammenhängenden Episoden. Erst damit gibt es eine Verankerung des Ichs in der Zeit. Von daher kann ich Descartes’ Argumentation nicht nachvollziehen.
Da kommt es wieder zur angesprochenen Verschmelzung.Ersetze es durch "Das, was unabhängig von systemischen Ergebnissen ist".
Das ganze Manöver ist doch dann nur eine Schein-Debatte, wo der Ausgang definitiv schon vorher feststeht. Das hat was von Volkskammer der DDR. Es kann doch nicht die Aufgabe der Philosophie sein für irgendwelche Überzeugungen auf Befehl Rechtfertigungen zu erstellen. Entweder etwas ist bezweifelbar, dann muss es aber eine lebendige Möglichkeit sein, dass wir dem Skeptiker recht geben. Oder eben nicht (und dann ist es immer noch besser zu seinem Dogmatismus zu stehen).Natürlich nicht - weil er ja PRagmatiker sein wollte. Aber: Er war genug Denker, um zu wissen, dass er diesen Pragmatismus begründen muss - was er auf seine Weise getan hat.
Es scheint mir eine der wenigen positiven Entwicklungen, dass diese Descartes-Fragen nicht mehr so ernst genommen werden.Natürlich. Die Denkweite der moderneren Philosophie setzt doch (meistens) erst ein, nachdem grundlegende Descartes-Fragen ausgeschaltet sind. Ein Naturalist hat nicht den geringsten Grund, alles zu bezweifeln, weil er die Ontologie ersetzt durch Anthropozentrisches - das ist ein geschlossener Kreis, in dem nichts anbrennt. NB: Um so mehr ist es eine Chuzpe, innerhalb des Naturalismus den Begriff "Ontologie" in ganz anderer Bedeutung zu benutzen.
Ich sehe nur Thesen, die Systeme begründen, aber nicht durch die Methoden dieser Systeme belegt werden können.Geht nicht. - Philosophien, Wissenschaft, Theologie haben Vorannahmen.
Ein Vorurteil ist es dann, wenn man keinerlei Rechtfertigung dafür geben kann. Mir ist nicht klar, warum Philosophien, Wissenschaft und Theologie auf solchen Vorurteilen basieren müssen. Vielleicht tun sie es teilweise – das ist dann aber ihr Problem.
“Vorannahmen” sind, neutrale Fassade hin oder her, absolut negativ und daher ist Vorurteil genau das richtige Wort dafür.- In der Literatur sagt man auch "Vorwissen" (finde ich nicht so gut) - auch "Vorurteil" ginge, wenn es nicht so negativ konnotiert wäre.
Dass zeitlich eine Überzeugung mal am Anfang stand ist gänzlich trivial und unproblematisch. Am Anfang der Begründungskette stehen, das ist das kritische. Vgl. hier (Gruppe 1 vs 2)- Nenne es ganz einfach: Bewusstseins-Status-Quo zu einer Sache, bevor man anfängt, sich weiter damit zu beschäftigen.
Das ist aber nicht die Art Kausalität von der wir hier sprechen (“widerlegen”).Im Alltag. Wenn Du (geistlich gesehen) Dich entwickelst und dabei in die Scheiße trittst, hat dies Folgen durch die Wahrheit (christlich: Gott). Du merkst es nicht mal in dem Moment.
Was steckt hinter wissenschaftlichen Paradigmenwechseln? Ist es eine Mode, oder steckt die Wahrheit dahinter?Habe ich nicht verstanden.
Die ontologischen Grundkonzepte sind menschlich, also entspricht es menschlichen Maßstäben. Ich sehe sowas wie “Übereinstimmung mit dem, was ist” nicht als unschuldige, “objektive”, vorurteilsfreie Definition an.Gerade deshalb ist es wahr, weil es nicht menschlichen Maßstäben entspringt.
Ich habe Haltungen und Meinungen. Natürlich modifiziere ich diese als Reaktion auf Kritik. Aber warum sollten diese aussortierten Haltungen / Meinungen alle “Vorannahmen” gewesen sein? Ihre Gründe waren falsch. Das ist alles.Du nutzt ihn mehrfach am Tag, ohne es zu merken. - Bsp: Zu Beginn unserer Diskussion hier im Forum hattest Du Haltungen zu bestimmten Sachen ("Vorannahmen")
Ich streite natürlich nicht ab, dass ich auch Vorurteile habe. Kein Mensch ist frei davon. Aber ich verbräme diese nicht als “Vorannahmen”. Eine “Vorannahme” ist doch eine Überzeugung, die man nicht begründen, nicht rechtfertigen, nicht plausibilisieren kann. Zu der man nicht einmal irgendetwas erhellendes produzieren kann. Also ist Vorurteil das angebrachtere Wort.
Sicher muss man aus rein praktischen Gründen irgendwann abbrechen und sagen “Es ist 2 Uhr nachts, wir machen jetzt Schluss und gehen ins Bett”. D. h. die Begründungskette muss irgendwann zu ihrem Ende kommen, da unsere Zeit begrenzt ist. So reißt einem auch irgendwann der Geduldsfaden bei Kindern, die immer und immer weiter fragen. Das Gefühl dabei ist jedoch ein ganz anderes als beim Dogmatiker. Man ist bloß genervt (würde aber die nächste Frage beantworten wenn dann Ruhe wäre). Der Dogmatiker dagegen sieht, wenn man das Dogma erreicht hat, nachfragen als persönliche Attacke.
Wenn man also eine sogenannte “Vorannahme” ausmachen kann, d. h. den präzisen Punkt wo gilt: “Hier wird das unhinterfragbare Dogma gesetzt”, dann ist das ein schlechtes Zeichen.
Natürlich gibt es Axiome oder Grundsätze von Systemen, die nicht durch die Methoden dieser Systeme gerechtfertigt werden können. Das ist harmlos, wird aber andauernd in diesem Thread mit Vorurteilen / Dogmen gleichgesetzt.
Ein anderer Punkt ist spiritueller / religiöser Glaube. Aber auch da finde ich “Vorannahme” extrem unangebracht / verzerrend. Es ist vielmehr eine Art “Vertrauensvorschuss”, der nichts mit solchem Dogmatismus zu tun hat (so sollte es sein – es gibt natürlich viele dogmatische Gläubige). Ich meine, Gott ist – obwohl natürlich unendlich mehr – auch eine Person.
Das nun halte ich für eine sehr naive Einschätzung.Tut ja keiner.
Aber da wir nicht an diese “ontische Realität” “rankommen”, kann sie nicht sonderlich relevant sein.- Aufklärung (naturwissenschaftlich wie geistlich) sollte eigentlich zum Ziel haben, dass möglichst viele Dinge in Interpretation und ontischer Realität übereinstimmen.
Ich habe keine Ahnung was “Aufklärung” tun sollte. Die reale Epoche der Aufklärung – ungeschönt betrachtet – reicht mir schon um definitiv gegen ein erneutes Aufwärmen dieser Tradition zu sein.
Aber anthropozentrisch sind immer nur die anderen…2) Stimmt. --"Ich" ist traditionell so definiert, dass es menschen-exklusiv ist.
“Die traditionelle Definition” ist irreführend – korrekt wäre “die traditionell christliche Definition”. Für einen Hindu hat ein Känguruh ein Ich (Atman).- Natürlich kann man "Ich" auch anders definieren, aber dann ist es etwas anderes als die traditionelle Definition. ---- Oder anders: Wenn ein Känguruh in geistlicher Autonomie nach Gott fragen könnte, hätte es ebenfalls eine Res cogitans. - Wenn sich dieses Känguruh hinsetzen könnte und sinnieren könnte "Cogito ego sum - si enim fallor, sum", wäre dies ebenfalls so. - Aber das sind doch heute nicht die Kriterien, mit denen "Ich" in Neusprech semantisch belegt wird.
Und das Problem an der christlichen Definition ist, dass ein Mensch ein Ich nicht abgesprochen bekommt, wenn er nicht nach Gott fragt (z. B. wegen “Sowjet-Erziehung”) oder nicht “cogito ergo sum” denkt. Es geht also sowieso um einen potentialis. Von daher ist “das Känguruh kann es (jetzt) nicht” kein so schlagendes Argument wie du annimmst.