Claymore hat geschrieben: ↑Sa 24. Dez 2022, 00:58
I.
Du hast eine zu enge bzw. falsche Vorstellung von Modalität. "Undenkbar" bezieht sich nicht auf die Verhältnisse und Relationen in unserer Welt.
Sondern, dass der Widerspruch in-sich vorliegt, sich durch Begriffsanalyse oder
a priori Einsicht feststellen lässt.
Also sind Einhörner und Todessterne denkbar, aber Escher-Wasserfällen und runde Quadrate nicht.
Es ist eine interessante ontologische Frage, ob der
Meinongianismus grundsätzlich falsch ist oder nicht. Kann es "
runde Quadrate" geben oder
Wasserfälle, die in sich selbst zurückfließen? Oder sind sie "undenkbar" wie du schreibst, weil es sich um physikalisch und geometrisch
unmögliche Objekte handelt?
In der Tradition der analytischen Philosophie wurde die Verwendung solcher in sich inkonsistenter Begriffe zum Beispiel von Friedrich Waismann (u.a.) strikt abgelehnt (Waismann,
Kann dieselbe Fläche zugleich rot und grün sein?, in: Logik, Sprache, Philosophie, Stuttgart: 1976, S.99-104). Seiner Ansicht nach verursacht die Verwendung solcher logisch inkonsistenter Begriffsverbindungen nur philosophische Verwirrung, weshalb sie zu unterlassen sei. Tauche eine solche logische inkonsistente Begriffsverwendung irgendwo auf, sei es Aufgabe der Philosophie, sie sprachanalytisch zu entlarven.
Allerdings ist es nicht ganz so einfach: du selbst schreibst oben von Escher-Wasserfällen und runden Quadraten, und ich weiß durchaus, was du mit diesen Ausdrücken meinst und in welchem Sinne du sie verwendest. Undenkbar mögen Escher-Wasserfälle also
in der Natur (Physik) sein und
die Konstruktion runder Quadrate in der Geometrie; gleichwohl können wir über sie sprechen und zum
Gegenstand unserer Erörterung machen. Wir können diesen unmöglichen Objekten sogar Eigenschaften zusprechen, nämlich z.B. die, unmögliche Objekte zu sein, die in der Natur und in der Mathematik nicht existieren können.
Die Sache ist nun die: wenn etwas
nicht existiert, dann kann man ihm auch keine Eigenschaften zusprechen, da es keinen Träger dieser Eigenschaften gibt. In irgendeiner Weise müssen sie also
existieren. Gabriel antwortet hierauf, dass Escher-Wasserfälle und runde Quadrate zwar nicht in den
Sinnfeldern der Natur und im Sinnfeld der Geometrie/Mathematik existieren können, aber Escher-Wasserfälle existieren offenkundig im
Sinnfeld der darstellenden Kunst (denn Escher hat sie ja gemalt) und runde Quadrate existieren offenbar beispielsweise im
Sinnfeld genau dieser unserer Diskussion über die Seele in diesem Forum und im
Sinnfeld der Philosophiehistorie in den Schriften Meinongs.
Analysiert man also, in welchem
Sinnfeld etwas existiert, gibt es keine Konflikte über Existenz und Nicht-Existenz, weil Existenz oder Nicht-Existenz von etwas stets eine Aussage im Bezug auf ein Sinnfeld und dessen
Gegenstandsbereich ist. DIe Aussage, dass runde Quadrate nicht existieren ist korrekt im Gegenstandsbereich der Mathematik/Geometrie, weil sie dort nicht konstruierbar sind. Und Escher-Wasserfälle existieren nicht in der Natur, weil sie physikalisch unmöglich sind. Sie existieren aber durchaus in anderen Sinnfeldern z.B. als "Gegenstände" philosophisher Diskussionen.
Insofern existiert natürlich auch "die Seele", z.B. im Sinnfeld
dieses Threads. Aber eine Seele existiert nicht in unserem physikalischen Universum. Genau das wird aber behauptet, wenn man den Begriff "Seele" als einerseits unkörperliche und immaterielle, gleichzeitig aber auch feinstoffliche Entität mit Körperfunktionen definiert; - woran auch die Bestimmung von "Seele" als unsterbliche
Substanz bzw. (reine)
Form nichts ändert.