Andreas hat geschrieben:Novalis hat geschrieben:Ich sehe es so, dass die Zukunft aller Weltreligionen in der verbindenden Botschaft liegt. In der universalen Blickrichtung, wie sie die verschiedenen Propheten, Mystiker und Heiligen immer wieder gewagt haben.
Dem möchte ich mich anschließen, weil Frieden nur dann sein kann, wenn alle daran mitarbeiten und teilhaben. Die Rettung ist die Wahrheit des Anderen: die naturwissenschaftlichen Wahrheiten verfehlen ihr Ziel ohne die religiösen Wahrheiten, ebenso wie die Mathematik ohne die Poesie vom Menschen weg führt, Verstand ohne Emotion die Weisheit nicht findet, das Wort ohne das Bild nicht bildet, der Ernst des Lebens nicht ohne das Spiel gemeistert werden kann, das Unendliche ohne die Gegenwart nicht ist und das Ich ohne das Du sich nicht findet.
So sehe ich das auch

Da wir hier den Islam thematisieren: Muhammad als Mensch und Prophet wurde schon immer gleichermaßen geliebt und war umstritten, wurde verehrt oder abgelehnt, wenn wir uns die Geistesgeschichte anschauen. Die Meinungen über ihn gingen schon immer sehr weit auseinander. Doch wen wundert das? Es ist geradezu das Merkmal jedes prophetischen Menschen, dass er Anstoß erregt. Auch Jesus wurde entweder geliebt oder abgelehnt. Fischer und einfache Leute folgten ihm und die Hohepriester (die herrschende Elite) fühlte sich bedroht. Das muss also nicht unbedingt gegen ihn sprechen. In der Zeit der Kreuzzüge hat man Muhammad zum Antichrist und Inbegriff des Dämonischen hochstilisiert, weil es den politischen Interessen ganz gut in den Kram passte. Viele moderne Europäer sind sich vermutlich nicht bewusst, dass ihre einseitig negative Rezeption Muhammads und der durch ihn inspirierten Religion dieser Zeit entstammt.
Doch es gab immer auch Menschen wie Goethe, die deutlich mehr differenziert haben. In dem Gedicht „
Mahomets Gesang“ schuf er Muhammad ein Denkmal:
Mahomet's Gesang
Seht den Felsenquell,
Freudehell,
Wie ein Sternenblick;
Über Wolken
Nährten seine Jugend
Gute Geister
Zwischen Klippen im Gebüsch.
Jünglingsfrisch
Tanzt er aus der Wolke
Auf die Marmorfelsen nieder,
Jauchzet wieder
Nach dem Himmel.
Durch die Gipfelgänge
Jagt er bunten Kieseln nach,
Und mit frühem Führertritt
Reißt er seine Bruderquellen
Mit sich fort.
Drunten werden in dem Tal
Unter seinem Fußtritt Blumen,
Und die Wiese
Lebt von seinem Hauch.
Doch ihn hält kein Schattental,
Keine Blumen,
Die ihm seine Knie umschlingen,
Ihm mit Liebesaugen schmeicheln:
Nach der Ebne dringt sein Lauf
Schlangenwandelnd.
Bäche schmiegen
Sich gesellig an. Nun tritt er
In die Ebne silberprangend,
Und die Ebne prangt mit ihm,
Und die Flüsse von der Ebne
Und die Bäche von den Bergen
Jauchzen ihm und rufen: "Bruder!
Bruder, nimm die Brüder mit,
Mit zu deinem alten Vater,
Zu dem ewgen Ozean,
Der mit ausgespannten Armen
Unser wartet
Die sich, ach! vergebens öffnen,
Seine Sehnenden zu fassen;
Denn uns frißt in öder Wüste
Gierger Sand; die Sonne droben
Saugt an unserm Blut; ein Hügel
Hemmet uns zum Teiche! Bruder,
Nimm die Brüder von der Ebne,
Nimm die Brüder von den Bergen
Mit, zu deinem Vater mit!"
Kommt ihr alle!
Und nun schwillt er
Herrlicher; ein ganz Geschlechte
Trägt den Fürsten hoch empor!
Und im rollenden Triumphe
Gibt er Ländern Namen, Städte
Werden unter seinem Fuß.
Unaufhaltsam rauscht er weiter,
Läßt der Türme Flammengipfel,
Marmorhäuser, eine Schöpfung
Seiner Fülle, hinter sich.
Zedernhäuser trägt der Atlas
Auf den Riesenschultern; sausend
Wehen über seinem Haupte
Tausend Flaggen durch die Lüfte,
Zeugen seiner Herrlichkeit.
Und so trägt er seine Brüder,
Seine Schätze, seine Kinder
Dem erwartenden Erzeuger
Freudebrausend an das Herz.
Johann Wolfgang von Goethe: Mahomets Gesang
Das ist wirklich ein großartiges Gedicht, welches von seiner Hochachtung und Sympathie zeugt. Ich kann zwar nicht für Goethe sprechen, aber ich vermute, dass er etwas gesehen hat, was der moderne Europäer häufig nicht sieht: Muhammad hat die Menschen seiner eigenen Zeit aus dem Aberglauben und der Primitivität einer sehr konfliktträchtigen Stammeskultur heraus geholt. Der Islam war zweifellos ein kultureller Fortschritt. Die Zeit vor dem Islam wird darum heute noch von Muslimen als "Zeitalter der Unwissenheit" (Dschâhiliyya) bezeichnet, weil nur eines galt: das Recht des Stärkeren. Es wird erzählt, dass Mädchen bei lebendigem Leibe in der Wüste begraben wurden, weil Jungen als wertvoller galten. Außerdem wurde den Armen und Schwachen keine Beachtung geschenkt, sie wurden rücksichtslos ausgebeutet. Im Vergleich dazu gilt die Zakāt (Almosensteuer) als eine der 5 Säulen des Islam. In einem überlieferten Prophetenwort heißt es:
„Seid barmherzig zu denen auf der Erde, dann wird der im Himmel zu euch barmherzig sein.“
Der Islam war für viele Menschen anziehend und enorm erfolgreich, weil er soziale Regelungen brachte und eine spirituelle Deutung des Lebens, die dem menschlichen Leben einen höheren metaphysischen Sinn zuspricht. Tausende unterschiedliche Stämme wurden in eine Gemeinschaft, die Umma (arabisch أمة) umgeformt. Für mich ist klar, dass das ein enormer zivilisatorischer Sprung war. Das mündete dann in die Blütezeit des Islam:
Als Blütezeit des Islam (auch Goldenes Zeitalter des Islam genannt) wird in der populärwissenschaftlichen Literatur die unter den Abbasiden (750 n. Chr. – 1258 n. Chr.) entwickelte Zivilisation in den islamisch beherrschten Gebieten bezeichnet.[1] Ein Zentrum für Kunst, Kultur, Wissenschaft und Forschung entstand in wenigen Jahrzehnten in der im Jahr 762 gegründeten Stadt Bagdad. Es beerbte die wenige Kilometer entfernte im Jahr 637 von den Arabern eroberte persische Metropole Seleukia-Ktesiphon.
Ebenfalls zu einem Zentrum des Wissens und der Literatur entwickelte sich die Region Chorasan in Zentralasien. Sie bildete später den Kern der iranischen Renaissance.[2]
Auch das von den Mauren beherrschte Al-Andalus, insbesondere das Emirat von Córdoba/Kalifat von Córdoba und das spätere Emirat von Granada im Süden der Iberischen Halbinsel erreichten im Mittelalter eine Blüte an Kultur und Wissenschaft.[3]
Die führende Stellung in den Wissenschaften ist noch heute an der arabischen Vorsilbe al- bei grundlegenden Fachbegriffen wie Algebra, Alchemie, Alkohol und Alkalien erkennbar. Die bekanntesten Wissenschaftler waren in folgenden Gebieten tätig:
Wikipedia: Blütezeit des Islam
Darstellung des menschlichen Auges nach Hunayn ibn Ishaq, aus einem Manuskript um 1200
Sternnamen wie Aldebaran, Algol, Atair, Rigel und andere sowie die Bezeichnung Zenit und Nadir kommen aus dem Arabischen. Die sind alle ein selbstverständlicher Bestandteil unsrer Sprache, die alle noch Zeugnis davon ablegen, dass der Islam einmal eine progressive Kraft war, der die Menschen zu geistigen Höchstleistungen antrieb. Das wundert mich nicht, denn der Koran fordert die Menschen dazu auf ihre Vernunft zu gebrauchen und die Natur zu erforschen, da die Erforschung der Schöpfung ein Weg ist, um ihrem Schöpfer näher zu kommen. Die islamische Mystik geht davon aus, dass sich in der gesamten Schöpfung die göttlichen Namen und Eigenschaften manifestieren, und es ist die Bestimmung des Menschen, diese zu erkennen. Ibn Arabi bezeichnete den Menschen
als Spiegelbild Gottes.
Wir brauchen Gott, um zu existieren, während Er uns braucht, damit Er Sich Selbst für Sich manifestieren kann. Auch ich gebe Ihm Leben, indem ich Ihn in meinem Herzen erkenne.
Muyhiddin Ibn Arabi
Halman hat geschrieben:Pluto hat geschrieben:Halman hat geschrieben:Ferner empfehle ich allen wirklich Interessierten Barinos Übersetzung einer Abhandlung
aus dem Arabischen zur Koranexegese zum Jihad von Sheikh Ibn Baz.
Wo finde ich die Übersetzung?
Oh, ich bitte um Entschuldigung, die hatte ich versehendlich vergessen. Hier die Übesetzung:
Jihad dient nicht nur der Verteidigung.
So ist das nun mal mit Begriffen. Sie können vollkommen unterschiedlich verstanden werden. Ich verstehe den Begriff so, dass primär der Kampf gegen die eigenen niederen Eigenschaften gemeint ist (jihad an-nafs). Der Koran selbst erklärt das:
… Bei der Seele und bei Dem, Der sie bildete. Und ihr ihre Schlechtigkeit ebenso eingab wie ihre Gottesfurcht. Wohl ergeht es dem, der sie läutert. (Qur'an, 91: 7-9)
Die Seele des Menschen ist der Schauplatz eines geistigen Kampfes: der göttlichen Macht, die ihn zu den himmlischen und göttlichen Dingen zieht und zum Guten inspiriert, aber es gibt auch die niederen (satanischen) Kräfte, die ihn zum Schlechten treiben können. Das ist eine allgemeingültige psychologische Einsicht über die Ambivalenz des menschlichen Wesen ( von mir hier mit religiösen Begriffen himmlisch/satanisch beschrieben, wir könnten ebenso säkulare Begriffe verwenden). Dieses Wissen finden wir in jeder authentischen spirituellen Lehre. Der Mensch hat ein im Grunde unendliches Potential in beide Richtungen. Gleich am Anfang des Korans steht die Bitte um Rechtleitung:
Leite uns den geraden Weg, den Weg derjenigen, denen Du Gunst erwiesen hast, nicht derjenigen, die (Deinen) Zorn erregt haben, und nicht der Irregehenden! Sure 1: al-Fatiha (Die Eröffnende)
Wenn das die Eröffnung ist, dann sollte man im Licht dieser theologischen Prämisse den gesamten restlichen Text lesen, meinst Du nicht auch? Das ist einfach vernünftig.