Der Shitstorm über AKKs Toiletten-Witz

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Cratz3r
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Der Shitstorm über AKKs Toiletten-Witz

Beitrag von Cratz3r »

Falls ihr es nicht bereits mitbekommen habt: Die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat letzten Donnerstag auf einer Karnevalsveranstaltung eine Büttenrede gehalten, in der sie einen Witz über neue Toiletten für ein drittes Geschlecht machte.

Konkret waren ihre Worte die folgenden:
„Guckt euch doch mal die Männer von heute an. Wer war denn von euch vor kurzem mal in Berlin, da seht ihr doch die Latte-Macchiato-Fraktion, die die Toiletten für das dritte Geschlecht einführen. Das ist für die Männer, die noch nicht wissen, ob sie noch stehen dürfen beim Pinkeln oder schon sitzen müssen. Dafür – dazwischen – ist diese Toilette.“

Quelle
Während das Publikum einmal herzlich darüber gelacht hat, ging danach eine Welle der Empörung und Entrüstung durch die deutsche Medien- und Politiklandschaft. Ob man den Witz lustig findet oder nicht ist eine Sache, aber ihr wird nun öffentlich von vielen Journalisten und Politikern vorgeworfen, dass sie damit Schwule, Lesben und Intersexuelle diskriminiere und ihr Witz von Sexismus und Rassismus geprägt sei. Der Grünen-Politiker Sven Lehmann hat ihr prompt einen zweiseitigen offenen Brief geschrieben, in dem er ihr vorwirft:
„Erstens: Ihre Äußerungen zeugen von Unkenntnis in der Sache. Zweitens: Ihre Äußerungen sind diskriminierend und verächtlich machend.“
[...]
"Sie als Vorsitzende der CDU Deutschlands hätten die Möglichkeit und die Verpflichtung, für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft einzutreten. Eine Gesellschaft, in der jeder Mensch sicher und frei leben kann. Sie haben sich für einen anderen Weg entschieden. Ihre Äußerungen empfinde nicht nur ich, sondern sehr viele Menschen als herablassend, diskriminierend und verächtlicht machend."

Quelle
Gegen Ende fordert eine öffentliche Entschuldigung von ihr.

Ich muss ehrlich sagen: ich kann diese Aufregung überhaupt nicht nachvollziehen. Ob man jetzt persönlich neben Mann und Frau noch weitere Geschlechter anerkennt oder ob man eine gesonderte Toilette für Homosexuelle notwendig findet ist dabei gar nicht mal wichtig, das ist ein eigenes Thema für sich. Aber hier wird einfach nur ein m.E. harmloser Witz über eine gesellschaftliche Gruppe gemacht. Ist das nicht der Sinn von Karnevals- bzw. Faschingsreden? Dass man sich selbst, seine Gesellschaft, seine Politiker und auch einzelne Gesellschaftsgruppen mal scherzhaft aufs Korn nimmt? Was ist aus der Narrenfreiheit und der freien Meinungsäußerung geworden? Natürlich sollte man auch an Karneval keine diskriminidernden oder "verächtlich machenden" Sprüche reißen, aber das sehe ich bei diesem Witz nicht im Ansatz gegeben.
Ich teile da die Meinung von CDU-Politikerin Julia Klöckner. Wenn man über alle gesellschaftlichen Gruppen Witze machen darf, nur über eine bestimmte nicht, ist das nicht umgekehrte Diskriminierung bzw. Rassismus?

Ich finde das besonders insofern schizophren, als dass doch vor 3 Jahren Jahn Böhmermann sein Schmähgedicht über den türkischen Präsidenten Recep Erdogan im Fernsehen vorgetragen hat, in welchem er diesen offen als Ziegenficker beleidigte, mehr als einmal mit seinen Formulierungen deutlich unter die Gürtellinie schlug, ihn als dumm, schwul, verlaust und pervers bezeichnete uvm. (Hier der Text zum nachlesen). Und ich erinnere mich noch gut daran, wie sich damals sofort namenhafte Politiker und Medienvertreter für ihn in die Schusslinie geworfen haben. Nachdem Erdogan ihn verklagte, hieß es sofort, man müsse Solidarität mit Böhmermann zeigen, das Gedicht laufe unter der Kunst- und Satirefreiheit, es sei ein schmerzhafter Kampf für die Redefreiheit und vieles mehr. Der Bundesregierung wurde vorgeworfen, sie müsse Böhmermann schützen, etc..
Ich finde ein solches Gedicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen untragbar und das hat auch nichts damit zu tun, was man über Erdogan und seine Politik denkt. Ein derart wüster, verbaler Angriff auf eine Person, sei es nun der türkische Präsident oder Hans Müller aus dem Schachclub, geht überhaupt nicht und hat auch nichts mit Kunstfreiheit zu tun.

(Übrigens am Rande: das Oberlandesgericht Hamburg sieht den Sachverhalt genau so und hat Böhmermann verboten, 18 der 24 Verse vorzutragen, da diese "dem Angriff auf die persönliche Würde" dienten. Böhmermann zieht damit nun vor den Bundesgerichtshof.)

Und nun stelle man das mal gegenüber - auf der einen Seite ein Gedicht, bei dem ein Staatsoberhaupt eines anderen Landes aufs übelste beleidigt wird, auf der anderen Seite ein flapsiger, nicht ehrverletzender Kommentar in einer Karnevals-Rede über eine gesellschaftliche Randgruppe. Und dann führe man sich nochmal vor Augen, dass die Beleidigung als Ziegenficker doch als Satire geschützt und von der Bundesregierung gegen das beleidigte Staatsoberhaupt verteidigt werden muss. Aber gleichzeitig wird ein ironischer Kommentar über eine dritte Toilette für Männer, die nicht wissen, ob sie im Stehen oder im Sitzen pinkeln sollen, als diskriminierend und verächtlich zerrissen und AKK wird dargestellt, als hätte sie höchstpersönlich zum Kreuzzug gegen die LGBT-Gemeinschaft aufgerufen. Wenn es gegen ein politisches Feinbild in Form von Erdogan geht, ist alles erlaubt, wenn es um die Genderdebatte geht darf man aber nicht mal über Toiletten witzeln?

Ich suche nun jemanden, der mir
1. dieses schizophrene Weltbild erklärt und
2. mich darüber aufklärt, was genau nun an AKKs Witz so schlimm ist.

Kann mir jemand von euch helfen?

LG
Zuletzt geändert von Cratz3r am Di 5. Mär 2019, 19:54, insgesamt 8-mal geändert.
Ich werde Ihre Meinung bis an mein Lebensende bekämpfen, aber ich werde mich mit allen Kräften dafür einsetzen, dass Sie sie haben und aussprechen dürfen.
- Voltaire.
Rembremerding

Re: Der Shitstorm über AKKs Toiletten-Witz

Beitrag von Rembremerding »

Cratz3r hat geschrieben: Di 5. Mär 2019, 19:35
Kann mir jemand von euch helfen?
Ich leider nicht. Wenn eine Gesellschadt nicht mehr lustig oder weniger lustig kann, dann sind wohl zu viele Empörlinge unterwegs. :)
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Magdalena61
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Re: Der Shitstorm über AKKs Toiletten-Witz

Beitrag von Magdalena61 »

Cratz3r hat geschrieben: Di 5. Mär 2019, 19:35 Falls ihr es nicht bereits mitbekommen habt: Die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat letzten Donnerstag auf einer Karnevalsveranstaltung eine Büttenrede gehalten, in der sie einen Witz über neue Toiletten für ein drittes Geschlecht machte.
Die Sendung "Das Stockacher Narrengericht" hatte ich aufgezeichnet, weil ich schon ahnte... wenn AKK "verklagt" wird, sollte man informiert sein -- und meine schlimmsten Befürchtungen wurden wahr: Politik im Narrenkostüm wird in diesem Falle von selbsternannten Nachrichtendiensten und Nettiquette- Jägern akribisch seziert, als hätte AKK im Bundestag eine Rede gehalten und dabei gegen alle guten Sitten verstoßen.

Da ich Platz auf der Festplatte des receivers brauchte, musste ich die Sendung dann -zeitversetzt- anschauen.
Na ja. Nicht mein Ding.

Hier kann sich jeder selbst ein Bild machen von den Vergehen der AKK:

Konkret waren ihre Worte die folgenden:
„Guckt euch doch mal die Männer von heute an. Wer war denn von euch vor kurzem mal in Berlin, da seht ihr doch die Latte-Macchiato-Fraktion, die die Toiletten für das dritte Geschlecht einführen. Das ist für die Männer, die noch nicht wissen, ob sie noch stehen dürfen beim Pinkeln oder schon sitzen müssen. Dafür – dazwischen – ist diese Toilette.“
Na ja. Stimmt doch. :mrgreen:

Früher hätten Kritiker diesen Auftritt der AKK mit "freche Göre!" pariert.

Es gibt einen Hintergrund für ihren Kommentar: Angesichts der außer Kontrolle geratenen "political- correctness- Sprech- Hysterie" wirbt AKK dafür, die Kirchen in den Dörfern und den Bundesbürgern eine unbefangene Meinungsfreiheit zu lassen. Damit steht sie auf dem Boden des GG- oder etwa nicht?
Die CDU ist nicht meine Partei. War sie nie und wird sie auch nicht werden. Wollte ich vorsichtshalber nur mal anmerken...
Ob man den Witz lustig findet oder nicht ist eine Sache, aber ihr wird nun öffentlich von vielen Journalisten und Politikern vorgeworfen, dass sie damit Schwule, Lesben und Intersexuelle diskriminiere und ihr Witz von Sexismus und Rassismus geprägt sei. Der Grünen-Politiker Sven Lehmann hat ihr prompt einen zweiseitigen offenen Brief geschrieben,
Der noch nicht linksgrün- sozialisierte und deshalb unkundige, zurückgebliebene Zuschauer, der ethisch- moralisch- verbal noch im letzten Jahrtausend beheimatet ist, fragt sich so langsam mit zunehmender Verzweiflung, wo denn nun eigentlich die größeren Narren sitzen: Im Stockacher Narrengericht oder außerhalb dieser Einrichtung.
LG
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Cratz3r
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Re: Der Shitstorm über AKKs Toiletten-Witz

Beitrag von Cratz3r »

Magdalena61 hat geschrieben: Di 5. Mär 2019, 20:06
Hier kann sich jeder selbst ein Bild machen von den Vergehen der AKK:


Interessant. Ich habe bisher tatsächlich noch nicht den größeren Kontext dieser Rede betrachtet. In dem Video geht es ab 18:40 los und so wie es aussieht, richtet sich ihr Witz nicht mal gegen Intersexuelle, sondern gegen die verweichlichten Männer in Berlin, die bei jedem Schnupfen einen Todeskampf durchleben.
Die Toiletten-Thematik wird dabei aufgegriffen, um scherzhaft auszudrücken, dass diese Männer nicht mal mehr wissen, ob sie Manns genug sind, noch im stehen zu pinkeln, wie es sich für einen echten Kerl gehört, oder ob sie sich hinsetzen sollen wie eine Frau. Natürlich ist das alles Schubladendenken, aber es sollte doch klar sein, dass das nicht ernst gemeint ist.
Aber statt dass nun ein Aufschrei kommt, weil hier Männer "diskriminiert werden", weil es sich für einen echten Mann gehöre, im Stehen zu pinklen (das fände ich ebenso übertrieben, aber könnte den Kern der Kritik zumindest noch nachvollziehen), sieht sich sofort die LGBT-Gemeinschaft öffentlich angegriffen und diskriminiert, nur weil dabei das Thema "Toiletten für ein drittes Geschlecht" gestreift wurde. Mein Unverständnis darüber ist gerade nochmal ein kleines bisschen gewachsen.
Zuletzt geändert von Cratz3r am Di 5. Mär 2019, 20:23, insgesamt 1-mal geändert.
Ich werde Ihre Meinung bis an mein Lebensende bekämpfen, aber ich werde mich mit allen Kräften dafür einsetzen, dass Sie sie haben und aussprechen dürfen.
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Magdalena61
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Re: Der Shitstorm über AKKs Toiletten-Witz

Beitrag von Magdalena61 »

Die "Toilette für ein drittes Geschlecht" wird dabei aufgegriffen, um scherzhaft auszudrücken, dass diese Männer nicht mal mehr wissen, ob sie Manns genug sind, noch im stehen zu pinkeln, wie es sich für einen echten Kerl gehört, oder ob sie sich hinsetzen sollen wie Frau.
Ganz genau so hatte ich das beim Betrachten des "Narrengerichts" auch verstanden.
Aber man kann auch eine andere Bedeutung hineinlegen.
Vielleicht war das von AKK so gewollt. Um genau diese Diskussion anzustoßen/ auszufechten.
Denn dumm ist die nicht.
Ihr Engagement in Stockach sehe ich als Wahlwerbung, die "das Volk" erreicht auf einem Niveau, das von Fastnachtsfans verstanden wird.
LG
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Hiob
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Re: Der Shitstorm über AKKs Toiletten-Witz

Beitrag von Hiob »

Magdalena61 hat geschrieben: Di 5. Mär 2019, 20:23Ihr Engagement in Stockach sehe ich als Wahlwerbung, die "das Volk" erreicht auf einem Niveau, das von Fastnachtsfans verstanden wird.
Dass sie den Shitstorm von langer Hand geplant hätte, um sich auf diese Weise "beim Volk" positiv zu positionieren, hielte ich für besonders interessant, ist aber aus meiner Sicht eher überzeichnet (aber wer weiß das schon?).

Interessant finde ich noch ihre aggressive Reaktion auf den Shitstorm (ich gehe davon aus, dass Cratzi richtig zitiert hat) - ich finde diese aggressive Reaktion GUT. - Auch interessant ist, dass das ganz sicher von den Arbeiter-Wählern der SPD EBENFALLS gut gefunden wird (nehme ich zumindestens an). - Ich hoffe, dass AKK NICHT klein beigibt und sich am Ende entschuldigt.

Zur Sache selbst: Ich lese diesen Witz eher als Witz über Männer. - Aber: Beim "Framing" ("Framing-Effekt oder Framing bedeutet, dass unterschiedliche Formulierungen einer Botschaft – bei gleichem Inhalt – das Verhalten des Empfängers unterschiedlich beeinflussen. Dieser Effekt lässt sich nicht mit der Theorie der rationalen Entscheidung erklären". - wik) sind halt die "falschen" Signale dabei - nämlich Minderheiten, die momentan hype-mäßig medial vertreten werden. - Oder - und das ist ja das, was Du andeutest - es ist absichtlich, um einen Anlass zu schaffen, diesen Hype zu brechen.

Oder sehr parteiisch gesagt: AKK scheißt auf die Political-Correctness-Priester*innen und geilt sie absichtlich zu Empörungs-Orgasmen auf, damit ihnen endlich mal das Maul gestopft wird. :lol:
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Andreas
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Re: Der Shitstorm über AKKs Toiletten-Witz

Beitrag von Andreas »

Was bitte ist mit "Latte-Macchiato-Fraktion" gemeint? Ich weiß nicht, was das bedeutet und wer damit gemeint sein soll. Offensichtlich irgendetwas in Berlin.

Ich verstehe das Zitat von ihr so, dass sie sich über diese Fraktion lustig macht. Vielleicht rührt die fehlgeleitete Empörung einfach nur daher, dass viele andere mit diesem Begriff auch nichts anfangen können.
Munro

Re: Der Shitstorm über AKKs Toiletten-Witz

Beitrag von Munro »

Julia Klöckner hat sehr richtig gesagt:
"Es werden doch Witze über Männer und über Frauen gemacht.
Wenn nun über das sog. dritte Geschlecht keine Witze gemacht werden dürften, so wäre das ja eine Diskriminierung des dritten Geschlecht!"

Gut gesagt! :thumbup:

Wer genau hat sich eigentlich beschwert?
Hiob
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Re: Der Shitstorm über AKKs Toiletten-Witz

Beitrag von Hiob »

Andreas hat geschrieben: Di 5. Mär 2019, 21:46Was bitte ist mit "Latte-Macchiato-Fraktion" gemeint?
Das ist die Gesellschaftsschicht,
* die im Penthouse am Prenzlauer Berg wohnt, vegetarisch lebt und zwei Vollverdiener im akademischen Bereich hat,
* die Political Correctness als säkulare Religion gefunden hat,
* die nicht raucht, außer einem Prosecco nichts Alkoholisches trinkt und sich im Café Einstein zum Latte Macchiato sehen lässt,
* die professionell in der Lage ist, je nach Anlass empört, interessiert oder sprachlos zu sein,
* die im Besitz medialer Stammtisch-Hoheit ist,
* die trendy ist,
* die individuell bis egoman ist,
* die als links-grün bezeichnet wird, aber konservativ-liberal ist.
jesher

Re: Der Shitstorm über AKKs Toiletten-Witz

Beitrag von jesher »

Habs mir durchgelesen. Als Christ bin ich deutlich schlimmeres gewohnt, weshalb ich die Empörung nicht teilen kann.
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