Warum eigentlich Privatsphäre?

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Rembremerding

Warum eigentlich Privatsphäre?

Beitrag von Rembremerding »

Früher galt, dass das Privatleben niemand etwas anging, da wurden selbst Volkszählungen boykottiert.
Heute jedoch wird die Notwendigkeit von Privatsphäre grundsätzlich in Frage gestellt.
Wem nützt sie eigentlich, wenn es nichts zu entdecken und verstecken gibt?
Vor wem schütze ich eigentlich meine Daten? Nur noch vor meinesgleichen?

Aus Bequemlichkeit oder zwangsläufig geben heute viele Menschen ihre Daten und ihr Privatleben über Smartphone, Alexa, Navis, Watches etc. weiter und erwarten sich dadurch einen Mehrwert in ihrem Leben. Zudem gibt man jedes Detail seines Lebens freiwillig in Bildern und Texten in sozialen Medien preis.

Das jedoch bedeutet, dass Privatsphäre für viele nur noch ein Schutz vor dem Nächsten ist.

Die Philosophie und Theologie sagt, dass der Grund für "Privatheit" der Wille zur Selbstbestimmung ist, die Fähigkeit, das Wesen der Freiheit zu begreifen. Letztlich die Würde des Menschen.
Keine "Privatheit" führt zur Heteronomie, die keinen Gemeinsinn fördert, weil die Fähigkeit zur Selbstreflexion verloren geht (Kant).

Ist Privatsphäre also obsolet oder was begründet sie eigentlich für euch?
Hiob
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Re: Warum eigentlich Privatsphäre?

Beitrag von Hiob »

Rembremerding hat geschrieben: Mo 15. Apr 2019, 07:23 Ist Privatsphäre also obsolet oder was begründet sie eigentlich für euch?
SEHR interessantes Thema! - Spontane Antwort:

"Privatheit" will gar nicht mehr intim, also schützend nach innen gerichtet sein, weil das Innen gar nicht mehr (an)erkannt wird. - Unter "innen" versteht man eher das Demonstrative "Schaut mal, wie weit ich spritzen kann/wie groß meine Klitoris ist - und wehe, wenn jemand mich dabei berührt, den ich nicht ausdrücklich dazu autorisiert habe - in freier Selbstbestimmung, versteht sich". ---- Also ein Schauspiel und kein Bedürfnis nach Tiefe.
jesher

Re: Warum eigentlich Privatsphäre?

Beitrag von jesher »

Rembremerding hat geschrieben: Mo 15. Apr 2019, 07:23Früher galt, dass das Privatleben niemand etwas anging, da wurden selbst Volkszählungen boykottiert.
Es galt auf jeden Fall, dass man selber in der Hand hielt, wen man in sein Privatleben einlies und wen nicht. Das "niemand etwas anging" bezieht sich eben darauf. DIe Haustür wurde abgeschlossen, fürs Postgeheimnis gibt es ein Gesetz und Telefone durften auch nicht einfach so abgehört werden.
Rembremerding hat geschrieben: Mo 15. Apr 2019, 07:23Heute jedoch wird die Notwendigkeit von Privatsphäre grundsätzlich in Frage gestellt.
Hast Du dazu Beispiele? Mir ist nur bekannt, dass in bestimmten Situationen die Privatsphäre gegen Sicherheitsbedürfnisse abgewogen werden. Grundsätzlich in Frage gestellt sehe ich das nirgendwo.
Rembremerding hat geschrieben: Mo 15. Apr 2019, 07:23Vor wem schütze ich eigentlich meine Daten? Nur noch vor meinesgleichen?
Vor jedem, den ich nicht in meinem privaten Umfeld haben möchte. Das hat sich nicht geändert.
Rembremerding hat geschrieben: Mo 15. Apr 2019, 07:23Zudem gibt man jedes Detail seines Lebens freiwillig in Bildern und Texten in sozialen Medien preis.
Zunächst aber eben nur dort. Nachhause lädt man die ganzen Leute trotzdem nicht ein.

Eltern müssen lernen, wie sie ihre Kinder im Umgang mit Medien erziehen können und müssen. Es ist erstaunlich wie naiv Kinder sind und zwar nicht nur die Kleinen. Die Grenzen zwischen virtuellen und realen Kontakten verwischen oder werden nicht mehr klar wahrgenommen. Meine Älteste (19) hat unzählige "Kumpel" und "Freunde", von denen sie die viele noch nie real getroffen hat. Ihr ist gar nicht klar gewesen, dass man in einem schriftlichen Kontakt nicht die ganze Persönlichkeit eine Menschen kennenlernt. Die Erklärung ist ebenso einfach wie universell. Es ist die Kombination aus Erleben und Distanz. In sozialen Medien bewegt man sich aus einer geschützten realen Umgebung heraus. Man liegt oder sitzt im eigenen Zimmer seines Elternhauses und kommuniziert mit anderen Menschen. Was soll einem da passieren? Die geschützte Umgebung wird auf die Aktivitäten und Kontakte in den sozialen Medien übertragen. So erhalten die Kinder den Eindruck, dass soziale Medien und alle Kontakte die man dort hat, ebenfalls sicher und vertraut seien.

Leider haben die allermeisten Eltern selber keinen Dunst von den neuen Medien oder fallen auf die psychologischen Grenzverwischungen von virtuellen und realen Kontakten selber rein.
Rembremerding hat geschrieben: Mo 15. Apr 2019, 07:23Ist Privatsphäre also obsolet oder was begründet sie eigentlich für euch?
An der Notwendigkeit von Privatsphäre hat sich nichts geändert. Wer sie heute nicht begründen kann, konnte es noch nie. Heute ist es jedoch schwerer weil komplexer den Schutz der Privatsphäre zu gewährleisten. Früher genügte es weitgehend wenn man zuhause war und die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dieses ist der Wahrnehmung einer geschützten Umgebung gewichen, dessen man sich bewusst sein sollte und werden muss.
Rembremerding

Re: Warum eigentlich Privatsphäre?

Beitrag von Rembremerding »

Hiob hat geschrieben: Mo 15. Apr 2019, 08:05 "Privatheit" will gar nicht mehr intim, also schützend nach innen gerichtet sein, weil das Innen gar nicht mehr (an)erkannt wird. -
Man ist sich seiner Würde quasi nicht mehr bewusst, weil man sie mit seinem Wert verwechselt, den man sich selbst und andere von außen zuspricht.
Das ist übrigens das Ende eines demokratischen Systems.


Nun kann man Datenschutz und Schutz der Privatsphäre auch als Schutz vor Autoritäten, staatliche Gewalt definieren.
In China wird es kaum mehr organisierten Widerstand geben können, denn alles ist überwacht (sozial credit), eine Selbstermächtigung unmöglich.
Doch auch in D bekommt man inzwischen die Wanze schön verpackt ins Haus, weil man sie bestellt hat.
Und hat man noch Selbstbestimmung, wenn einmal per Gesichtserkennung an öffentlichen Kameras ein Bewegungsmuster festgestellt werden kann?
Beim autonomen Fahren, das meist überall begrüßt wird: Die Kameras und Sensoren, mit 5 G im Internet verbunden, müssen nicht nur zur Orientierung dienen. Die Daten des eCall, gesetzlich bei jedem Neuwagen vorgeschrieben, generieren inzwischen bereits Daten, welche die Automobilindustrie gewinnbringend vermarktet.

Und alles wird als "Erleichterung" oder zur "Sicherheit" von den Menschen begrüßt. Was in China per Staat geschieht, fordern die Menschen im Westen freiwillig, weil das Marketing dafür besser ist.

Ich will nicht grundsätzlich meine Meinung kundtun, das ist gut, jenes schlecht, nur Möglichkeiten und Wirklichkeit aufzeigen.
jesher

Re: Warum eigentlich Privatsphäre?

Beitrag von jesher »

Wobei sich in China auch Widerstände regt. Dort allerdings in recht bescheidenen Grenzen... was allerdings auch der Staatsform geschuldet ist. Das SocialCreditSystem beschränkt sich derzeit auf einige Städte, soll aber nach der Testphase ausgeweitet werden. Dafür braucht es noch einige Harmonisierungen und technische Entwicklungen.
Munro

Re: Warum eigentlich Privatsphäre?

Beitrag von Munro »

Rembremerding hat geschrieben: Mo 15. Apr 2019, 07:23 Ist Privatsphäre also obsolet oder was begründet sie eigentlich für euch?
Es kommt immer drauf an.
Man kann es auf beide Arten übertreiben.

Auf Facebook schreiben die einen alles über ihr Leben.
Und die anderen schreien Zeter und Mordio, wenn bekannt würde, dass sie Müller oder Meyer heißen und in Berlin wohnen.
Rembremerding

Re: Warum eigentlich Privatsphäre?

Beitrag von Rembremerding »

jesher hat geschrieben: Mo 15. Apr 2019, 08:31 Das SocialCreditSystem beschränkt sich derzeit auf einige Städte, soll aber nach der Testphase ausgeweitet werden. Dafür braucht es noch einige Harmonisierungen und technische Entwicklungen.
Wie gesagt, die Menschen im Westen machen das freiwillig und es wird meist von Konzernen und nicht vom Staat finanziert.
paypal freut sich demnächst, auf unsere girokonten zuzugreifen und apple & co über die infos zu unserer gesundheit - um nur 2 beispiele herauszupicken.
Sollte einmal das Bargeld abgeschafft werden, wird die Kontrolle noch perfekter.

Interessant: Bis vor 15 Jahren wurde beim amerikanischen Militär das Projekt LifeLog finanziert, da steht das alles schon drin.
Hier ein Artikel dazu:
http://norberthaering.de/de/27-german/news/1107-lifelog
jesher

Re: Warum eigentlich Privatsphäre?

Beitrag von jesher »

Rembremerding hat geschrieben: Mo 15. Apr 2019, 09:03paypal freut sich demnächst, auf unsere girokonten zuzugreifen
Nicht nur Paypal. Die Bankgesetze wurden weitergehend gelockert und das Monopol der Banken aufgeweicht. Bald wird man auch anderen Institutionen den direkten Zugriff auf die Bankkonten erlauben dürfen.
Rembremerding hat geschrieben: Mo 15. Apr 2019, 09:03apple & co über die infos zu unserer gesundheit - um nur 2 beispiele herauszupicken.
Apple hinkt da ziemlich hinterher und ist im Vergleich zu den Mitbewerbern bezüglich des Datenschutzes sehr konservativ eingestellt. Da müsste man wohl eher die Betreiber der ganzen billigen Fitness-Armbänder / Uhren nennen, die sich bereits seit Jahren etliche medizinischen Daten einverleiben.
Rembremerding hat geschrieben: Mo 15. Apr 2019, 09:03Sollte einmal das Bargeld abgeschafft werden, wird die Kontrolle noch perfekter.
Die elektronsiche Gesundheitskarte wäre hier noch zu nennen. Die bisherigen Versionen sind ein Fiasko, aber das wird sich noch ändern. Ebenso die Anlage einer zentralen Bürgerdatenbank, in der alle personenbezogenen Daten zusammengeführt werden können.

Was derzeit fehlt ist nicht die Menge an Daten... sondern die Mittel, diese Daten auszuwerten, analysieren und zu verknüpfen. Da stößt selbst die NSA an ihre Grenzen. Nicht ohne Grund wird fieberhaft an KI und besseren Algorithmen gearbeitet und nicht ohne Grund warn(t)en bereits diverse Leute vor deren (autonomen) Einsatz.
Rembremerding

Re: Warum eigentlich Privatsphäre?

Beitrag von Rembremerding »

Esperanzia hat geschrieben: Mo 15. Apr 2019, 08:58
Auf Facebook schreiben die einen alles über ihr Leben.
Und die anderen schreien Zeter und Mordio, wenn bekannt würde, dass sie Müller oder Meyer heißen und in Berlin wohnen.
Welchen unterschiedlichen "Kompaß" haben diese Menschen wohl?
@Hiob spricht an, dass man sich über sein "Inneres" gar nicht mehr bewusst ist.
Dann bedeutet Wahrung von Privatsphäre ja/nein, wohl auch, ob man das Wesen der Freiheit noch erkennt.
Hiob
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Re: Warum eigentlich Privatsphäre?

Beitrag von Hiob »

Rembremerding hat geschrieben: Mo 15. Apr 2019, 09:36 Dann bedeutet Wahrung von Privatsphäre ja/nein, wohl auch, ob man das Wesen der Freiheit noch erkennt.
Diesen Bogen wird kaum jemand machen - ich ebenso nicht. - Ich sehe eher, dass "privat" als Präsentationsfläche verstanden wird.
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