An einem Nachmittag im September

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Magdalena61
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An einem Nachmittag im September

Beitrag von Magdalena61 »

Was die Beurteilung anderer Gemeinden angeht, oder besser gesagt: in welchem Ton man das tut, dazu möchte ich meine Sicht der Dinge etwas deutlicher machen, indem ich eine Geschichte erzähle. Sie beruht auf wahren Begebenheiten.
Nur die Fortsetzung des Gesprächs mit Bruder F. hat so nicht stattgefunden, ich hätte es zum damaligen Zeitpunkt nicht gewagt, diese Gedanken so auszusprechen wie heute.
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Es war ein milder Nachmittag im September.

Der Traugottesdienst in der kleinen Kirche am Waldrand war vorüber und gut gelaunte Menschen füllten so nach und nach den Hof der Gemeinde.
Es war ein schöner Gottesdienst gewesen, mit Liebe und viel Fleiß vorbereit... die Braut so anmutig und überirdisch schön--- wie eine Eisprinzessin sah sie aus mit ihren langen dunklen Haaren und dem wunderschönen Kleid. Der Bräutigam, leicht verlegen, hatte seinen besten Anzug an, und beide strahlten vor Glück; hatten sie doch lange genug aufeinander gewartet.

Die positive Stimmung und der Frieden des Gottesdienstes klangen noch in den Herzen nach. Gut gekleidete Menschen fanden sich in Grüppchen zusammen, begrüßten sich und lachten miteinander, während im Kirchenraum die Tische für das gemeinsame Kaffeetrinken gedeckt wurden.
Da fiel mein Blick auf ihn.

Bruder F. aus meiner früheren Gemeinde war auch gekommen. Er war entfernt mit der Braut verwandt; er stand alleine und irgendwie etwas verloren im Hof herum.
Ich näherte mich ihm. „Hallo, Bruder, F., bist du auch hier?“
- Der übliche Smalltalk.

Dann fragte ich ihn: „Und, welchen Eindruck hast du von dieser Gemeinde?“
Er sah vor sich hin. Dann hob er den Blick. Steif und unbehaglich, aber sehr entschlossen und ohne ein Fünkchen des Bedauerns sagte er, sorgfältig jede Silbe betonend:

Von der Welt überrollt“.
God bless you all for what you all have done for me.
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Magdalena61
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Re: An einem Nachmittag im September

Beitrag von Magdalena61 »

Es traf mich wie ein Schlag. Er sprach weiter, aber ich konnte ihm kaum folgen. Freudlos und ernst machte er den Eindruck, diese Hochzeit eben „ertragen“ zu müssen, so, als warte er nur darauf, die Gesellschaft so schnell als möglich wieder verlassen zu können.

Warum ist er dann überhaupt hier? fragte ich mich. Oh, Bruder, F., wie kannst du so urteilen, du kennst meine Gemeinde doch gar nicht! Sieh dir doch die Menschen an, die alle unter dein vernichtendes Urteil fallen! DU kennst sie nicht, aber ICH kenne sie! Ich weiß, es sind nicht alle so „fromm“, wie sie sein sollten. Aber ich weiß auch um ihre Geschichte, um ihr Ringen, und darum, warum sie so geworden sind. Warum verurteilst du sie?

„Von der Welt überrollt“— woran machst du das fest? Daran, dass diese Gemeinde Mitglied im ÖRK ist? Daran, wie die Menschen angezogen sind? Daran, dass sie heiter sind? Ja, Bruder, ich weiß, bei euch wird kaum gelacht. Auch nicht, wenn Gemeindesonntag ist. Ihr wirkt oft bedrückt auf mich... es hat immer ernst zuzugehen, wie sagte man: "Wer Späße macht, der gerät in den Verdacht, oberflächlich zu sein im Glauben..."
Auch am jährlichen Gemeindefest herrschte eine unglaubliche Stille. Die verschiedenen Gruppen der Gemeinde boten ein sehr gutes Programm musikalischer Art, aber es wurde nie geklatscht, es war wohlerzogen ruhig im Gemeinderaum.

Unter Gemeinschaft stelle ich mir etwas anderes vor, aber ich habe euch auch so akzeptiert, wie ihr seid, ohne euren Glauben in Frage zu stellen. Ich dachte mir, aufgrund eurer Geschichte seid ihr halt so geworden, wie ihr seid
Aber ich brauche ein wenig mehr Lachen um mich herum, ich brauche hin und wieder ein wenig Wein von Kana, und wenn ihr lieber Wasser trinkt, dann sei es euch gegönnt, aber dann nehmt den Glaubensgeschwistern den Wein auch nicht übel.

Mein Partner und ich, wir waren auch ein Programmpunkt bei euch. Das Air haben wir euch gespielt, von Bach, in der Bearbeitung für Keyboard und Klarinette.

Von euch gab es keine Reaktion. Aber euer Pastor, der alte Mann, der Mose, welcher euch nach dem Krieg aus dem Osten in das gelobte Land geführt hatte, der stand da und sagte nur ein Wort: „Wunderbar“.

Es hat sein Herz berührt. Eures nicht?
Was ist mit dir los? „Von der Welt überrollt... Liegt es nicht vielleicht auch an dir, wenn dein Herz nicht berührt wird? Verurteile nicht, was du nicht kennst! Warst du da, als Gott da war?
God bless you all for what you all have done for me.
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Magdalena61
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Re: An einem Nachmittag im September

Beitrag von Magdalena61 »

Du kannst es nicht wissen. Deshalb erzähle ich es dir.
Meistens ist es einfach mein Job, das hier zu machen.
Ich suche Gott, ich sehne mich nach einer Begegnung mit Ihm, aber ich finde ihn nicht mehr in der Gemeinde.
Doch manchmal gibt es Sternstunden. Dann ist Er plötzlich da. Ganz selten ist das, aber man vergisst es nicht.


Du hast gerade meine Gemeinde verurteilt. Freund, das ist die Gemeinde, die ich liebe! Ich habe sie erwählt, weil ich jedes Mal, wenn ich am Sonntag nach dem GD nach Hause fuhr einen unbeschreiblichen Frieden im Herzen hatte.--
Ja, das ist heute nicht mehr so. Mein Gemeindealltag besteht aus Pflichten. Ist es in einer Familie anders? Ist dort vielleicht jeder Tag eitel Glück und Sonnenschein? Oder gibt es da nicht auch Durststrecken, die man überwinden muß, mit Geduld, Langmut und Liebe?
Kann man da vielleicht einfach davon laufen, wenn es Probleme gibt?

Ich laufe nicht davon, wenn ich keine himmlische Anweisung dafür bekomme. Kommandos nehme ich nur von allerhöchster Stelle entgegen, Bruder.

Ach ja, ich wollte dir noch von einer Sternstunde erzählen, die ich hier erlebt habe. Es kam ganz unerwartet. Ein Lied im Gottesdienst... ich hatte Organistendienst... die Leute überarbeiten sich in der Regel nicht mit dem Singen. Aber plötzlich ging es ganz anders weiter. Ich weiß nicht, wie es gekommen ist. Die Leute erhoben sich von ihren Plätzen— das tun sie normalerweise nicht— der Gesang schwoll an... nahm immer mehr zu...der Raum füllte sich mit Klang, es wurde immer lauter, immer inniger... ich meinte, jeden Moment müsse das Dach in die Luft fliegen, so gewaltig wurden Anbetung und Lobpreis!

Die ganze Gemeinde stand wie EIN Mann- so etwas hatte ich noch nie erlebt! Eine Kraft war im Raum, so sanft und doch so stark... etwas Großes geschah, das man gar nicht fassen konnte.

So muß es im Himmel sein! Oh, wenn der Himmel SO ist, dann hätte ich nichts dagegen, sofort dorthin zu wechseln. Es ist unbeschreiblich!
Niemand blieb unberührt.

Als sie das EIN Mal erlebt hatten, wiederholte es sich von Zeit zu Zeit. Sie haben einfach sich selbst vergessen und nur im Augenblick gelebt, den Blick auf IHN gerichtet. Man konnte das nicht planen. Es kam oder es kam nicht.

So war es.
Und nun gehe in Frieden, Bruder, ich weiß, was ich erlebt habe und ich wünsche dir, dass du es auch einmal so erleben kannst. Und sage nicht: „Von der Welt überrollt“. Hilf mir lieber, dafür zu kämpfen, dass meine Familie nicht untergeht!
Hilf mir, dafür zu beten, dass der HERR Arbeiter in die Ernte sende, die ihren Job ordentlich machen! Stelle dich Ihm zur Verfügung, dass Er dich so gebrauchen kann, wie und wo Er es möchte!
Bitte ihn, dass er dich zum Segen macht, so wie er Abraham verheißen hatte, er solle ein Segen sein. Werde nicht hochmütig, weil du mehr Erkenntnis hast als meine Familie... bitte lieber darum, dass der HERR ihr sein Licht und seine Wahrheit offenbaren möge... dass Er selbst sich ihrer annehmen möge. Denn es sind alles Menschen, die Er mit seinem teuren Blut erkauft hat.
Menschen, die Er liebt und mit denen er Gemeinschaft haben möchte. Höre nicht auf darum zu bitten, dass Er seine Gemeinden reinigt und erneuert.

Shalom, Bruder. Komm gut nach Hause.
God bless you all for what you all have done for me.
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