Das Ende der Aufklärung?
Verfasst: Di 21. Jul 2020, 16:30
Als Ergänzung, speziell auf Geisteswissenschaft bezogen:Die Zeit der Aufklärung ist zu Ende. Erneut hat der Aberglaube die Oberhand. Heute ist es Verschwörungsglaube und Unvernunft. Eigentlich ein noch größerer Rückfall: Wurden etwa früher die Ergebnisse der Wissenschaft nicht anerkannt, ist es heute die Wissenschaft. Suchte man früher das Unerklärliche und die Risiken des Lebens durch höhere Mächte zu erklären, sind es heute diffuse menschliche Mächte. Durch die vormalige Aufklärung hat der Mensch eine Selbstbestimmung erhalten, mit der er nun nicht umgehen kann, denn er ist sich dafür selbst zu wenig. Er meint alles wissen zu können und zwar stets besser.
Michael hat geschrieben: ↑Di 21. Jul 2020, 14:51 ... Heute wird auf Basis der Wissenschaft der Glaube konterkariert. Es ist dies auch ein Ergebnis der Aufklärung, die das humanistische Weltbild in vielen Disziplinen als Prämisse festgelegt hat. Gab es z.B. zuvor Begriffe wie Anrthroposophie? Oder woher kommen „Menschenrechte“? ...
... Nicht nur menschliche Kräfte, die alleine hätten nicht so viel Macht. Da überschätzt man den Menschen. Der dämonische Einfluss, der auch kollektiv wirkt ist, dem „modern“ denkenden Menschen oft völlig fremd. Die Schrift hingegen zeigt uns diese Mächte.
Die Wissenschaft funktioniert! Aber ...
manche neigen dazu, die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse, deren mediale Vermittlung und die eventuell darauf basierenden politischen Maßnahmen zu verurteilen, weil sie offenbar gar nicht verstanden haben, wie Wissenschaft funktioniert. Gerne wird etwa darauf verwiesen, dass sich die Einschätzungen der Experten geändert haben. Wissenschaft produziere „Fake News“!
Dem muss man aber entgegnen: Ja, was denn sonst? Das ist ja gerade das Wesen der Wissenschaft, dass sie Erkenntnisfortschritt macht und sich daher das Neue gegenüber dem Alten verhält wie „News“ zu „Fake News“. Hier werden lediglich unterschiedliche Kenntnisstände abgebildet und in den freien, auch öffentlichen Medien, werden diese auftragsgerecht veröffentlicht und diskutiert.
Aber das ist doch keine Schwäche der Wissenschaft, sondern gerade ihre Stärke: Es ist ein Erkenntniszuwachs, in relativ kurzer Zeit. Man höre deshalb Experten, die der wissenschaftlichen Methode verpflichtet sind, genau zu, wenn sie Dinge wie „zum jetzigen Zeitpunkt“, „nach derzeitigem Kenntnisstand“ etc. sagen. Absolute, unveränderliche Wahrheit kann es in der Wissenschaft nicht geben (außer Axiome). Absolute "Wahrheiten" verkünden nur tatsächliche Verbreiter von Fake News.
Und noch etwas ist entscheidend: Das Wissen darum, dass man etwas nicht weiß, ist Wissen. So weiß man, wonach man suchen muss. Man nennt dies Fortschritt: Deshalb ist das zwischenzeitlich so große Übergewicht an Fragen gegenüber Antworten, der Vermutungen gegenüber Fakten keine Bankrotterklärung einer hilf- und ratlosen Forschung, sondern zeigt nur, dass sie auf dem (branchenüblich steinigen und steilen) Weg ist, hin zu neuen Erkenntnissen.
Natürlich ändern sich dadurch auch politische Einschätzungen und Meinungen in den Zeitungskommentaren. Das ist kein Zeichen von Führungsschwäche oder Opportunismus, sondern das Gebot praktischer Rationalität. Leichter haben es hier die meisten regierungskritischen Tablet- und Laptop-Inhaber auf dem Sofa, denn sie müssen nicht, wie etwa Spitzenpolitiker in größter Geschwindigkeit auf sich verändernde Bedingungen mit Entscheidungen reagieren, die sehr viele Menschen betreffen. Abzuwägen sind beispielsweise immer Sicherheit und Gesundheitsschutz sowie Freiheitsrechte und wirtschaftlichen Interessen zu vermitteln und ein Optimum an Wohlfahrt zu realisieren. Dabei müssen Prioritäten gesetzt werden.
Einen entscheidenden Beitrag zu dem Massenexpertentum ist paradoxerweise die Wissenschaft und die Aufklärung selbst. In einer Phase grenzenloser Überheblichkeit kam es zu einer Verabsolutierung (natur-)wissenschaftlicher Ergebnisse. Hinzu kam die Digitalisierung und Social-Media-Präsenz, die Informationen ungefiltert und undifferenziert in die Wohnzimmer brachte. Seither wird Wissenschaft gerade im Verschwörungsglauben, der neue Aberglaube, nicht mehr verstanden.
Glaube und Vernunft waren in der Kirche schon immer miteinander verbunden. Gab es eine Zeit, in der die säkulare Welt den Gläubigen die Vernunft stärkte, wird es vermehrt seit Ende der Aufklärung immer mehr zur Aufgabe der Gläubigen der säkularen Welt die Vernunft in Erinnerung zu rufen.