ThomasM hat geschrieben:Hallo Savonlinna
Nach einigen sidetracks und einer jetzt auch noch enstehenden Diskussion über die Person Jungs, hast du wieder etwas sehr wichtiges über die Methodik geschrieben
Savonlinna hat geschrieben:
Angenommen, das Forschungsprojekt "Alle Sprachen dieser Welt auf ihre Tiefenstruktur bringen und dann die Tiefenstruktur aller Tiefenstrukturen bilden" wäre gelungen, dann hätte man gemeinsame Komponenten herausgefiltert, die allen Sprachen zugrunde liegen.
Und dann erst kommt der Deutungsakt: Was haben wir da über dieses faktische Ergebnis hinaus herausgefunden?
Die einen sagen vielleicht: Nun wissen wir, wie ein Teil des menschlichen Gehirns funktioniert.
Andere: Nun wissen wir, wie Gott funktioniert.
Noch andere: Nun wissen wir, wie die Gene funktionieren.
Das sind samt und sonders weltanschauliche - mitunter auch ideologische - Deutungen, die den Boden der Wissenschaft damit verlassen haben.
Du hast dieses Beispiel über die Erforschung der Tiefenstruktur gebracht als Beispiel eines geisteswissenschaftlichen Forschungsprojektes, das sich einer bestimmten Idee, einem bestimmten Ziel verschrieben hat.
In dieser Struktur ist es analog zu jedem naturwissenschaftlichen Forschungsprojekt. Man wird von einer Idee gefangen genommen und setzt sich das Ziel, diese Idee zu beweisen oder zu zeigen.
Wieso zeigt mein Beispiel, dass man da eine Idee beweisen oder zeigen will?
Es soll erst herausgefunden werden, wie diese Tiefenstruktur beschaffen ist. Oder übersehe ich etwas?
ThomasM hat geschrieben:
Hier kommt closs ins Spiel. Sein Einwand "da wurde Gott von Beginn an rausdefiniert", hast du abgewehrt, ich würde ihm in einem bestimmten Sinn zustimmen.
Ich würde sagen "da MUSSTEN wir Gott von Beginn an rausdefinieren", weil sich ein Begriff wie Gott und eine wissenschaftliche Methodik nicht vertragen.
Zumindest ist das bei der naturwissenschaftlichen Methodik so. Will ich naturwissenschaftlich korrekt vorgehen, muss ich Gott links liegen lassen, sonst wird meine Methodik von Beginn an torpediert und ich erreiche gar nichts.
Ich kann mich jetzt zwar nicht konkret erinnern, dass ich das bei closs abgewehrt habe, aber ich bin in diesem Zusammenhang tatsächlich anderer Meinung. Die ist aber schwer zu vermitteln.
Ich versuche es:
Ich muss "Gott" da nicht rausdefinieren, weil ich auch nicht extra "Seelenschmerz" oder "Liebe" rausdefinieren muss. Die gehören von Haus aus da nicht rein. Der "methodische Atheismus" - der als Gedanke da vielleicht hintersteckt -, ist für mich ein faules Ei. Es gibt keinen methodischen Atheismus, weil eine Methode eben nie eine Weltanschauung ist. Eine wissenschaftliche Methode ist eben niemals atheistisch oder christlich oder buddhistisch. Wir müssen bei der Wissenschaft also auch nicht extra den Buddhismus rausdefinieren.
Das wäre nur dann nötig, wenn die Wissenschaft normalerweise buddhistisch wäre. Ist sie aber nicht, und sie ist auch normalerweise nicht religiös.
Puh, ich hoffe mein Unbehagen dabei formuliert zu haben.
Dieses "Rausdefinieren" verunreinigt die Wissenschaft nach meinem Gespür, weil sie dieses Rausdefinieren offenbar dann braucht.
ThomasM hat geschrieben:Nun habe ich versucht, über dein Beispiel mit der Tiefenstruktur etwas zu lesen - und bin kläglich gescheitert.
Allein die Sätze, die in Wikipedia und Co formuliert sind gehen über mein Verständnis hinaus. Ich lese diese Sätze zehn Mal und vermag immer noch keinen Sinn zu erkennen. Das ist einfach nicht meine Sprache.
Die Frage, die mich bewegt ist folgende:
Diese Sache mit der Tiefenstruktur ist angelegt als geisteswissenschaftliches Projekt.
Zum blau Unterlegten:
Das kann man so nicht sagen. Ich habe es hier in diesen Thread eingefügt, weil hier Natur- und Geisteswissenschaften thematisiert werden und der Strukturalismus mir innerhalb der Germanistik begegnet ist. Der Strukturalismus stammt ursprünglich aus der Linguistik und wurde dann von der Soziologie, der Anthropologie und auch den Literaturwissenschaften aufgegriffen und weiterentwickelt; ebenfalls von der Psychologie.
Seine Methodik grenzt aber - und das sage ich im Moment nur aus einer vagen Erinnerung - zumindest bei einigen Autoren an die Kybernetik und später vermutlich auch an die Informatik.
Gestern hat man mir in meiner neuen Wohnung die letzten Regale angeschraubt, ich kann nun meine Bücher sortieren und sie dadurch endlich auch wiederfinden, kann also endlich wieder nachlesen.
ThomasM hat geschrieben:Welche methodischen Elemente werden verwendet, um zu einem Ergebnis zu kommen? Gibt es Analogien zu den Themen "Theoriebildung", "Vorhersagen" "Experiment" usw. oder sind das ganz eigene Elemente, die da verwendet werden?
Tatsächlich stehen mir ohnehin solche methodischen Elemente sehr fern, ich kann damit nicht viel anfangen. Wenn sie also eine Rolle dabei spielen, ist mir das zumindest nicht aufgefallen. Ich werde es aber nachlesen. Und da ich einen Informatiker im nahen Bekanntenkreis habe, werde ich auch ihn damit löchern beim nächsten Treffen.
Ich bitte also um etwas Geduld, ich werde es bestimmt nicht vergessen, dazu hier etwas Informativeres zu schreiben.
Werde auch bei Wikipedia nachgucken, warum das so unverständlich geschrieben wurde da.
ThomasM hat geschrieben:Und: Wie allgemeingültig ist diese Beispiel für die Literaturwissenschaft oder gar die Geisteswissenschaft?
Allgemeingültige Theorien gibt es weder in der Sprachwissenschaft noch in der Literaturwissenschaft noch in der Psychologie noch in der Soziologie.
Der Strukturalismus wurde aber meines Wissens in sämtlichen Disziplinen aufgegriffen, verändert, weiterentwickelt. Die Systemtheorie, die heute in allen Disziplinen eine Rolle spielt, ist zum Beispiel so ein Ableger.
Insgesamt gehört das in den "linguistic turn", der - sage ich mal etwas tollkühn - mit der Kopernikanischen Wende zu vergleichen ist.
In allen Disziplinen - auch in den naturwissenschaftlichen - wurde begriffen, dass alles mit "Sprache" zu tun hat, Sprache in weitem Sinn.
Hier ein Wikipedia-Artikel zu dem "linguistic turn":
http://de.wikipedia.org/wiki/Linguistische_Wende
Ich werde über all das noch genauer nachdenken und nachlesen und melde mich dann wieder.