ProfDrVonUndZu hat geschrieben: ↑Sa 7. Dez 2024, 21:13Die abweichenden Sichtweisen drehen sich im Kern darum, wer oder was dieser Stein sein soll.
Das ist doch genau das Problem, das ich angesprochen habe:
1.
Weil es eine blumige Präsentation ist, hat im Grunde niemand eine Ahnung, was die konkrete Aussage ist.
2.
In der Folge dreht man es sich durch neue Glaubensbehauptungen hin.
3.
Dann greift aber die Jesaja-Gesamtszene und für das Hindrehen kann es wieder mächtig eins aufs Dach geben.
Da die Gläubigen keine Ahnung haben, was die damaligen Umstände waren, also worum es genau ging, geht der heutige Christ bei "seinem Verstehen-Der-Schrift" das Risiko ein, dass er letztlich genau derjenige ist, wegen dem "sich der göttliche Jesaja-Zorn entzünden soll".
Das ist das, was ich meinte:
der Text verankert nicht Qualität, sondern er verankert Risiko.
Ich wundere mich da schon, dass sich christliche Schreiber in ihrer "Schriftgelehrten-Aktivität" ausgerechnet auf die Jesaja-Stelle berufen wollen.
Ist es am Ende sogar Religionspolitik, um die Unsicherheit aus der Jesaja-Passage (die letztlich auch die christlichen Deutungen betreffen müsste) zu verschleiern?
Es könnte ja Strategie sein, dass die christlichen Schreiber die Jesaja-Stelle für sich beanspruchen, bevor der grössere Jesaja-Rahmen gegen ihre Ansichten eingesetzt wird (vielleicht war dies sogar am Anfang der Fall).
ProfDrVonUndZu hat geschrieben: ↑Sa 7. Dez 2024, 21:13Damit wären wir wieder bei der Frage, wer oder was dieser Eckstein genau sein soll und auch bei der Frage, was generell ein Eckstein bedeuten soll.
Ja, ich kann es bestätigen, das Erste, das mir bei dem Text aufgefallen ist, ist die Unklarheit, die aus diesen blumigen Formulierungen entspringt.
Hier geht es um die gesamte Jesaja-Passage - das ist eine amorphe Zusammenhangswolke, die irgendwie, also vermutlich, darauf hinausläuft "wer sich in seinen Glaubensansprüchen falsch verhält, bekommt einen Schlag vor den Latz".
Der Frage "was ist der Eckstein" habe ich versucht, durch den Unterschied zwischen "Ist-Zustand" und "Prognose" zu behandeln.
Der Begriff "Eckstein" taucht bei Jesaja nicht in einem "es wird so sein"-Zusammenhang auf, sondern in einem "Siehe", also "schau jetzt hin"-Zusammenhang.
Es geht also eher nicht um "ich werde nach der Jesaja-Zeit irgendwann einen Eckstein legen", sondern um "da ist jetzt ein Eckstein".
Dass irgendetwas Späteres als "der Eckstein" ausgerufen wird, setzt (zumindest für mein Verständnis) voraus, dass man den "Ist-Zustand"-Zusammenhang aus dem Text entsorgt.
Meine Überlegung:
Wenn es heisst
"Siehe, ich lege in Zion einen Grundstein, einen bewährten Stein, einen kostbaren Eckstein, der fest gegründet ist.", kann es dann nicht ganz einfach so sein, dass Zion der Grund-/Eckstein sein soll?
Das sind aber nur meine Reaktionen/Überlegungen als Nicht-Gläubiger.
Grundsätzlich erkenne ich, dass die Texte eine enorme Schwammigkeit enthalten, sodass sich Freiheitsgrade für die (späteren) Gläubigen ergeben.
Irgendwoher muss es ja kommen, dass ein regelrechtes Universum an Glaubensrichtungen entstanden ist.
ProfDrVonUndZu hat geschrieben: ↑Sa 7. Dez 2024, 21:13Es geht um Verständnis und Anwendung von Recht und Gerechtigkeit. So wie später auch die Pharisäer und Schriftgelehrten das Volk mit ihrem Rechtsvertändnis beschwerten (Matthäus 23,4 und Lukas 11,46), so taten dies auch die Priester und Propheten zu Jesajas Zeiten.
Ja genau, hier sieht man es sehr schön, die christliche Deutung versucht der Jesaja-Passage, die eigentlich auch die christliche Lesart/Glaubensrichtung ins Risiko stellt, den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem der Text als "bekanntes Werkzeug" gegen Andersgläubige eingesetzt wird.
So funktioniert wohl Religionspolitik.
ProfDrVonUndZu hat geschrieben: ↑Sa 7. Dez 2024, 21:13Erwartest du die umfassende Übernahme ganzer Kontexte des AT in den Korpus des NT bzw. einzelner Briefe ?
Ich würde (als Gläubiger) Qualität erwarten, aber es ist natürlich klar, dass dies nicht der übliche Zugang zur Religion ist.
Für mich ist ja bereits der Jesaja-Text eine einzige Schwachstelle.
Dass dann daraus irgendwelche Schnipsel gewinnbringend eingesetzt werden sollen, sehe ich als Folgeerscheinung - das ist quasi keine sonderliche Verschlechterung mehr.
Wer beim Jesaja-Text und den Aussagen "Bund mit dem Tod und Vertrag mit dem Totenreich", "Zuflucht in der Lüge" usw. usf. nicht mit einem dicken Fragezeichen reagiert, der geht dann halt auch beim Verwenden von Text-Schnipseln ins Behauptungs-Risiko.
Ich ziele also eher auf die Schwäche im Gesamtkonzept der Texte ab und übe mich in Toleranz gegenüber "kleineren Folgeschwächen".
ProfDrVonUndZu hat geschrieben: ↑Sa 7. Dez 2024, 21:13Jesus wäre somit der Begründer der christlichen Bewegung die über alle bisherigen Standesdünkel und Exklusivitätsansprüche hinaus geht.
Aus meiner Sicht kannst du nicht so leicht die Jesaja-Problematik aus dem Christentum entsorgen.
Das Christentum hat zu enormen Dünkeln und Exklusivitätsansprüchen geführt.
Ich habe neulich ein Video über die "Spanische Inquisition" gesehen und da bleibt einem jegliche Spucke weg.
Wäre nicht schlecht gewesen, wenn die Jesaja-Phantasie bzgl. der "göttlichen Konsequenzen" genau dort ins Schwarze getroffen hätte.
(vermutlich ist diese Inquisition aber nur ein Beispiel aus vielen)
ProfDrVonUndZu hat geschrieben: ↑Sa 7. Dez 2024, 21:13Das dürfte zumindest für die Adressaten der Apostelbriefe nicht mehr so relevant gewesen sein.
Klar, du folgst hier einem Vergangenheitsentwurf aus deiner Religion heraus, aber selbst wenn ich das so stehen lasse, kannst du es nicht ausblenden, dass es im 1. Jhd. im Judentum zu einer Messias-Bewegung ("Zeloten") gekommen ist.
Historiker erkennen hier anscheinend die Auffälligkeit, dass es nach zahlreichen gescheiterten Aufstandsversuchen (mit unterschiedlichen religiösen Slogans) durch die Zeloten zum ersten Mal gelungen ist, in der damaligen Bevölkerung eine grossflächige Begeisterung zu entfachen.
Die Grundlage dieser Begeisterung war wohl die Perspektive dass "das auserwählte Volk einen Zustand erreicht, bei dem es nur noch seinem Gott untersteht" - es ging also um das Erreichen einer "umfassenden Freiheit von menschlichen Herrschern".
Das ist letztlich das Messias-Thema ("messianische Zeit") und genau hierfür wurden wohl Stellen aus den "alten Schriften" von den Zeloten (mit sehr grosser Nähe, aber auch mit Abgrenzung zu den Pharisäern) gedeutet.
Aus den Schriften wurde eine religiöse Begründung abgeleitet, durch die sich die Anhänger eine Sicherheit vorstellten, so dass sie jegliches Martyrium auf sich nahmen.
Dieses "Qualen und Leiden für eine bessere Zeit, für eine Zeitenwende, auf sich nehmen" gab es in der jüdischen Bewegung der Zeloten, die diese Funktion rein aus den "alten Schriften" ableiteten.
Du kannst dich natürlich für die Vorstellung entscheiden, dass es da einen "Jesus" und eine "Jesus"-Bewegung gab und zufällig nebenher (zeitgleich, mit Ausgangspunkt Herodes-Clan und römischer Steuererhebung) haben sich aus dem Judentum heraus neue Messias-Ideen entwickelt.
Also die Geburt von "Jesus" ist dann zufällig auch die Geburt dieser jüdischen Messias-Bewegung.
Du darfst dir vorstellen, dass die christlichen Denker dann später durch ihr Wissen in den "alten Schriften" Bezüge zu "Jesus" entdeckt haben und dies in ihren "Briefen" überlieferten.
Du bekommst es aber nicht vom Tisch, dass es zur "Jesus"-Geburtszeit im Judentum zu einer neuen Deutung der "alten Schriften" in Bezug auf Messias-Zusammenhänge gekommen ist.
Das jüdische Volk hat sozusagen zu einem nicht geringen Anteil diese neue Deutung eingesehen und ist mitgegangen.
Die Ideen der NT-Texte müssten dann früher schon in sehr grosser thematischer Nähe vom Judentum aufgestellt worden sein - in Bezug auf "Messias im 1. Jhd." wäre damit das Judentum früher dran, als das Christentum.
ProfDrVonUndZu hat geschrieben: ↑Sa 7. Dez 2024, 21:13Man muss halt sehen, dass der Jesajatext sich zwar natürlich auf seine Entstehungszeit bezieht, dass es aber eigentlich um Verhältnisse und Rahmenbedingungen geht. Solange die so wie damals sind, bleibt auch seine Problematisierung aktuell.
Ja, aber die Gläubigen dürften diese "Aktualität des Jesaja-Textes" auf Basis seiner Schwammigkeit nicht vom Christentum abziehen.
Der Neuanfang von religiösen Behauptungen des Christentums ist nicht der Ausstieg aus dem "Jesaja"-Risiko - dass es von den dortigen Anhängern dennoch so gehandhabt wird, ist nur Glaubenspolitik, aber genau dieser Politik wird ja im Jesaja-Text die Gefahr "göttlicher Konsequenzen" gegenübergestellt.