Wann ist Bibelkritik?

Hiob
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Re: Wann ist Bibelkritik?

Beitrag von Hiob »

CoolLesterSmooth hat geschrieben: So 4. Okt 2020, 21:59 Haben wir also wirklich einen Trieb, der uns drängt nach der Wahrheit zu suchen? Oder ist es ein Trieb, der einen drängt, nach einer "Wahrheit" zu suchen, mit der man leben kann?
Dies Frage ist absolut berechtigt. Nur: Wenn einer geistlich SPÜRT, ist sie irrelevant. --- Stelle Dir mal folgendes vor: Du triffst die Traumfrau Deines Lebens - der berühmte Blitz, der völlig unvorbereitet in Dich einschlägt. --- Wenn dann einer kommt und fragt, ob dies ein geistlicher Liebesblitz war oder das Zusammenwirken von Hormonen, winkst Du ab - denn für Dich gibt es in diesem Moment nur den Blitz und nicht das Warum.

Wobei wir an einem grundsätzlichen Punkt wären: Viele theologischen Diskussionen finden heute aus einer Warte der Unbetroffenheit statt. Dann aber ist man so weit weg, dass plötzlich viele Erklärungsmöglichkeiten plausibel erscheinen. - Man ist neutral, da nicht erfasst. ---NB: Das ist übrigens der Grund, warum wissenschaftliche Erklärungen bei geistlichen Dingen nur Hilfsdienste, nicht aber Substanz leisten können. Denn ein Wissenschaftler MUSS unbetroffen und neutral sein.
CoolLesterSmooth
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Re: Wann ist Bibelkritik?

Beitrag von CoolLesterSmooth »

Hiob hat geschrieben: So 4. Okt 2020, 23:18 Dies Frage ist absolut berechtigt. Nur: Wenn einer geistlich SPÜRT, ist sie irrelevant.
Spiegelt dieser Einwand nicht genau das wieder, was ich beschrieben habe?
Stelle Dir mal folgendes vor: Du triffst die Traumfrau Deines Lebens - der berühmte Blitz, der völlig unvorbereitet in Dich einschlägt.
Ich schätze mich glücklich, mir das nicht vorstellen zu müssen. Und nein, meine Frau sitzt nicht mit gezückter Pistole neben mir.
--- Wenn dann einer kommt und fragt, ob dies ein geistlicher Liebesblitz war oder das Zusammenwirken von Hormonen, winkst Du ab - denn für Dich gibt es in diesem Moment nur den Blitz und nicht das Warum.
Könnte das etwa daran liegen, dass es uns im Kern eben nicht um Wahrheit, sondern um emotionalen Komfort geht?
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Hiob
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Re: Wann ist Bibelkritik?

Beitrag von Hiob »

CoolLesterSmooth hat geschrieben: So 4. Okt 2020, 23:58 Könnte das etwa daran liegen, dass es uns im Kern eben nicht um Wahrheit, sondern um emotionalen Komfort geht?
Nee - es liegt daran, dass das Leben nicht aus Begründungen, sondern auch Wirklichkeit besteht.

Wir haben in unserer Gesellschaft den Trend, dass man etwas durchdenkt, um daraus Wirklichkeit zu generieren ("Dieses kann ich so erklären und jenes stellt sich so dar - also wird die Wirklichkeit folgende ... sein") - Man erschließt sich also Wirklichkeit aus Denken.

Kulturell anders formatierte Gesellschaften gehen andersrum vor: Sie spüren einen Wirklichkeit und versuchen, diese Wirklichkeit zu beschreiben ("Ich erlebe etwas, was ich folgendermaßen ... beschreibe"). - Und wenn man das Gespürte NICHT beschreibt, macht es nichts - es ist ja da

Es "geht einen nicht um Wahrheit" ("Was könnte diese wohl sein?"), sondern man gibt Wahrheit weiter, die man fühlt. ---- Ich stammele jetzt etwas, weil ich das Gefühl habe, nicht vermitteln zu können, was ich meine. - Kommt was durch?
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Re: Wann ist Bibelkritik?

Beitrag von CoolLesterSmooth »

Hiob hat geschrieben: Mo 5. Okt 2020, 00:48 Ich stammele jetzt etwas, weil ich das Gefühl habe, nicht vermitteln zu können, was ich meine. - Kommt was durch?
Nun, es kommt etwas durch, aber woher weiß ich, ob du das gemeint hast? :lol:
Aber ich finde anhand dieses Satzes lässt sich recht gut darstellen, warum ich dein Vertrauen in Spüren, geistliche Erkenntnis oder wie auch immer man es umschreiben möchte, nicht teile.

Du hast das Gefühl, nicht vermitteln zu können, was du meinst. Da ich dir einfach frech Ehrlichkeit unterstelle, kann ich akzeptieren, dass dieses Gefühl Wirklichkeit ist und hättest du diesen Satz nicht hinzugefügt, also nicht beschrieben, dass du dieses Gefühl hast, dann hätte das nichts daran geändert, dass du dieses Gefühl hast (vgl. dein 3. Absatz). Wenn du also sagst "Ich [habe] das Gefühl, nicht vermitteln zu können, was ich meine" dann ist das die Wahrheit. Dagegen werde ich niemals einen Einwand bringen, außer ich habe Grund zur Annahme, dass du hier nicht die Wahrheit sagst und dieses Gefühl in Wirklichkeit nicht hast.
Aber das heißt nicht, dass das was du fühlst, Wirklichkeit ist. Die Wahrheit ist, dass du entweder vermitteln konntest, was du meinst oder dass du nicht vermitteln konntest, was du meinst (Tautologie). Aber was davon zutrifft, kannst du auf Basis deines Gefühls nicht wissen. Das Gefühl kann dir nicht sagen, ob du wirklich (er)fühlst, was du meinst zu (er)fühlen. Dazu brauchst du eine von Fühlen unabhängige Überprüfung, in diesem Fall z.B. durch die Frage "Kommt was durch?"
sondern man gibt Wahrheit weiter, die man fühlt
So lange man das Gefühl beschreibt ist das auch okay, aber problematisch wird wenn man als Wahrheit präsentiert, dass man konkret etwas bestimmtes erfühlt hat. Leider wird das aber immer wieder gemacht und meine Frage wäre jetzt ob es gemscht wird, weil es komfortabler ist zu sagen "Ich habe X erfühlt" als dem Umstand, dass man das auf Basis des Gefühls gar nicht wissen kann, ins Auge zu blicken?
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Re: Wann ist Bibelkritik?

Beitrag von Hiob »

CoolLesterSmooth hat geschrieben: Mo 5. Okt 2020, 03:38 Aber das heißt nicht, dass das was du fühlst, Wirklichkeit ist.
Stimmt - deshalb heißt es ja "Glauben". - Genau so wenig kannst Du nachweisen, dass Du Deine Flamme liebst. - Du kannst Hinweise bringen (jeden Tag Rosen, 10 gemeinsame Kinder, seit 30 jahren zusammen, etc.) - aber beweisen kannst Du es nicht.
CoolLesterSmooth hat geschrieben: Mo 5. Okt 2020, 03:38 So lange man das Gefühl beschreibt ist das auch okay, aber problematisch wird wenn man als Wahrheit präsentiert, dass man konkret etwas bestimmtes erfühlt hat. Leider wird das aber immer wieder gemacht
Man kann sagen: "Ich fühle eine Wahrheit, die auch für Dich gilt". - Man sollte nicht sagen: "Und bist Du nicht willig, so brauch' ich Gewalt" - was ja oft genug der Fall war. - Man sollte auch nicht sagen: "Du bist verloren, wenn Du meiner Wahrheit nicht glaubst" - was auch heute oft passiert.

Mit anderen Worten: Ich sehe das sehr entspannt, weil ich eigene Erkenntnisse als Einladung weitergebe und weiter nichts. Das wiederum hat damit zu tun, dass ich mit Glaube keine Willens- oder Entscheidungs-Leistung verbinde ("Auch Du musst jetzt wollen und entscheiden"), sondern in ihm einen geistlichen Status Quo sehe ("Geistlich wurde mir folgende Erkenntnis/folgendes Fühlen GEGEBEN") - es kann ja keiner was dafür, wenn es ihm NICHT gegeben ist.

Ansonsten bin ich schon sicher, dass solche Gefühle wirklichkeits-relevant sind. - Damit meine ich nicht mal MEINE Gefühle (die sind zwar da, aber nicht gerade Bench Mark), sondern das, was ich oft in meinem christlichen Umfeld erlebt habe: Dieser klare Blick aus innerer klarer Sicht - ganz unintellektuell - und nicht interessiert an erkenntnis-theoretischen Auffassungen. - Vergleiche es mit dem Blick von kleinen Kindern - durchgehend echt und empfunden.
CoolLesterSmooth hat geschrieben: Mo 5. Okt 2020, 03:38 weil es komfortabler ist zu sagen "Ich habe X erfühlt" als dem Umstand, dass man das auf Basis des Gefühls gar nicht wissen kann, ins Auge zu blicken?
Für "echte" Christen irrelevant. - Diese Alternative stellt sich gar nicht. - Viel zu theoretisch.

Trotzdem: Ich verstehe Dich - wohl weil mein Platz zwischen den Stühlen ist und ich damit sowohl das Christliche meines Umfeldes wahrhaft mitfühlen kann als auch die Außensicht von intellektueller Warte her vornehmen kann. - Mein Tipp an jeden: Es besteht kein Grund für Leistungsdruck, aber für Neugier.
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Re: Wann ist Bibelkritik?

Beitrag von PeB »

Otto hat geschrieben: Sa 3. Okt 2020, 23:38
PeB hat geschrieben:Damit hadere ich auch.
Denn letztlich bedeutet es, dass mutmaßlich maximal eine Denomination recht haben kann - nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit sogar gar keine.
Sag ich doch die ganze Zeit. Wenn keine Denomination recht haben sollte, gäbe es aber kein Gott..
Das ist - sorry - Unsinn.
Nur weil wir keine letztliche Erkenntnis über den Beginn des Universums haben, bedeutet das nicht, dass es das Universum nicht gibt.

Hier angewendet: auch wenn alle sich irren, bedeutet es nicht, dass es Gott nicht gäbe.

Wie ich oben sagte: es handelt sich um einen Erkenntnisprozess.
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And the people who gain the world and lose their soul
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Re: Wann ist Bibelkritik?

Beitrag von Spice »

Hiob hat geschrieben: So 4. Okt 2020, 13:38 Ist die Triebfeder des Menschen zur Wahrheit etwas Gegebenes oder Produkt des eigenen Willens. Ich plädiere für "etwas Gegebenes".
Jedes Leben muss sich orientieren. Das, woran sich ein Lebewesen orientiert, ist für es "Wahrheit", nämlich als das Vorfindliche, nach dem es sich (zunächst) richten muss,
Die meisten Menschen lassen es sich genügen im täglichen Leben einigermaßen zurecht zu kommen und fragen nicht ernsthaft - d.h. in dem Sinne, dass sie der Frage (bis zum Endpunkt/Grund) nachgehen - nach Wahrheit. Und da eben bereits sehr vieles als "Wahrheit" angeboten wird, lassen sich zudem viele damit begnügen sich einer "Wahrheit" anzuschließen. Aber wirkliche Wahrheit hat man erst dann, wenn man sie selbst erkannt hat, selbst etwas verstanden hat.
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Re: Wann ist Bibelkritik?

Beitrag von Hiob »

Spice hat geschrieben: Mo 5. Okt 2020, 11:49 wirkliche Wahrheit hat man erst dann, wenn man sie selbst erkannt hat, selbst etwas verstanden hat.
Da gibt es sogar ein Bibelzitat, das ich leider nicht zuordnen kann - es lautet so ähnlich wie "Wenn Ihr dann den Himmel erkannt habt". --- Wie auch immer: Diesbezüglich bin ich immer wieder überrascht, wenn Christen den Satz "DANN erkennen, wie man (jetzt von Gott bereits) erkannt ist" (vgl. 1. Kor. 13,12) auf das DIESSEITS beziehen - also können man im Irdischen bereits erkennen, wie man erkannt ist.

Um beim Thread zu bleiben: Beide Interpretationen sind aus meiner Sicht nicht "Bibelkritik", sondern unterschiedliche Verständnisse des Bibelworts.
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Re: Wann ist Bibelkritik?

Beitrag von CoolLesterSmooth »

Hiob hat geschrieben: Mo 5. Okt 2020, 09:13 Genau so wenig kannst Du nachweisen, dass Du Deine Flamme liebst. - Du kannst Hinweise bringen (jeden Tag Rosen, 10 gemeinsame Kinder, seit 30 jahren zusammen, etc.) - aber beweisen kannst Du es nicht.
Ich weiß nicht, ob "Liebe" hier das beste Beispiel ist, das ist ja nur das Etikett mit dem ich meine Gefühle für meine Frau zusammenfasse. Wenn ich sage, dass ich meine Frau liebe, dann ist das eine Aussage über meine Gefühle, ich sage damit nicht, dass die Liebe zu meiner Frau als eigene Entität in unserer Wirklichkeit existiert.
Man kann sagen: "Ich fühle eine Wahrheit, die auch für Dich gilt".
Kann man? Sollte man? Wenn jemand sagt "Ich fühle, dass Cthulhu am Grund des Meeres langsam unruhig wird", dann kann die Empfindung selbt echt sein, aber es ist nur auf Basis des Gefühls doch komplett vermessen, das was er meint zu fühlen (Cthulhu der langsam unruhig wird) als für alle geltende Wahrheit zu setzen.
Vergleiche es mit dem Blick von kleinen Kindern - durchgehend echt und empfunden.
Kinder sind ungefiltert, aber wenn das was Kinder so sagen stets Wahrheit über eine objektive Wirklichkeit wäre, dann müsste unsere Welt ganz anders aussehen. :lol:
Für "echte" Christen irrelevant. - Diese Alternative stellt sich gar nicht. - Viel zu theoretisch.
Wenn es um Wahrheit ginge, müsste man sich aber damit befassen. Aber es geht ja mehr ums Wohlfühlen.
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Re: Wann ist Bibelkritik?

Beitrag von Spice »

Hiob hat geschrieben: Mo 5. Okt 2020, 12:33
Spice hat geschrieben: Mo 5. Okt 2020, 11:49 wirkliche Wahrheit hat man erst dann, wenn man sie selbst erkannt hat, selbst etwas verstanden hat.
Da gibt es sogar ein Bibelzitat, das ich leider nicht zuordnen kann - es lautet so ähnlich wie "Wenn Ihr dann den Himmel erkannt habt". --- Wie auch immer: Diesbezüglich bin ich immer wieder überrascht, wenn Christen den Satz "DANN erkennen, wie man (jetzt von Gott bereits) erkannt ist" (vgl. 1. Kor. 13,12) auf das DIESSEITS beziehen - also können man im Irdischen bereits erkennen, wie man erkannt ist.
Ich sehe nicht, dass es sich im genannten Vers um das Jenseits handelt, sondern um die Vollendung des Menschen im Bilde Jesu Christ. Hier sollen wir die Wahrheit erkennen, damit wir überhaupt die Vollendung erreichen können.
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