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Re: Wozu braucht es Jesus?

Verfasst: So 22. Dez 2024, 13:45
von SilverBullet
Sara Funkelstein hat geschrieben: Sa 21. Dez 2024, 07:39Dann sollte man fairerweise auch in Betracht ziehen, dass die Erzählung von Jesus falsch ist, um ergebnisoffen zu prüfen.
Hinter der Erzählung von Jesus steckt eine Absicht und die ist verlorengegangen, weshalb sich dann "Glaubensexperten" überlegen, was da eigentlich steht, also was mit dem Text gemeint ist.

Interessant ist, dass es Textstellen gibt, bei denen (alle) Gläubige bereit sind, das was da steht nicht als das anzusehen, was gemeint ist.
Das einfachste Beispiel ist die "Offenbarung des Johannes", also ein Text, der für so ziemlich alle Leser auf Grund seiner Ausgestaltung, als "enorme Bildsprache" (sprich "reichlich sonderbar") eingeordnet wird.

In den Evangelien ist die Bildsprache weit weniger offensichtlich, aber z.B. beim "übers Wasser gehen", was ja ein super Glaubenstest wäre, sind sich auch (alle) Gläubige einig, dass dies nur im übertragenen Sinn gilt.
Man fragt sich dann, was hinter dem Bild gemeint sein könnte und beim "übers Wasser gehen" kommt Wasser in der Deutung noch nicht einmal vor.
Dass man "das Wasser" als Bild anerkennt, "Jesus" aber nicht, ist letztlich nur ein Entwurf des Gläubigen.
Auch der Unterschied zwischen "Offenbarung des Johannes" und den Evangelien ist letztlich nur reine Vorliebe.

Die "Offenbarung des Johannes" ist in keinem anderen Umfeld entstanden, als die Evangelien - ich glaube sogar zeitlich kann man da keine "phantasievolle Literaturepoche" dazwischenschieben.
Damit ist die Frage berechtigt, ob die Evangelien nicht die gleiche Bildgewalt enthalten, wie die "Offenbarung des Johannes".
Wieso sollte man die Evangelien konkreter verstehen dürfen, als die Offenbarung?
=> Ich sehe keinen anderen Grund, als dass sich eine gewisse Vorliebe der Textdeutung eingeschlichen hat und daraus eine Tradition geworden ist.
Diese Entwicklung kann man (aus meiner Sicht) als "falsch" ansehen.

Für mich als Nicht-Gläubigen, der "Jesus" als Bild für die Messias-Bewegung im 1. Jhd. ansieht, ist erstaunlich, dass ich damit dem Text eine viel rationalere Grundlage zugestehe, als es durch die "übliche" Vorstellung, eines einfachen Wanderpredigers, der zur "Übergestallt" umgedichtet wurde, erfolgt.
Fachleute, die behaupten, dass es einen "historischen Jesus" gab, der ganz anders war ("einfacher Sandalenläufer"), als der "religiös dargestellte Jesus", entsorgen doch letztlich jegliche Glaubensgrundlage als "falsch".
Wenn man es genau nimmt, mache ich diesen Schritt nicht, sondern ich lasse das Christentum in einer Glaubensqualität stehen, mit der die Anhänger zu einer starken Bereitschaft "sich sogar bis zum Martyrium aufzuopfern" gefunden haben (siehe 1. Jhd.).
Sara Funkelstein hat geschrieben: Sa 21. Dez 2024, 07:39Es wäre interessant, ob Jesus die Kriterien des Messias überhaupt erfüllt (König der Juden?, Nachfahre Davids?,...) Oder wurde nachträglich rumgemauschelt, damit es passt.
Es wird sicherlich zu einem Designanteil gekommen sein, aber ich denke niemand der Aktiven wird es als "Mauschelei" angesehen haben.
Das Problem liegt in der Bildsprache, denn wenn der Kontext (der ja dann explizit nicht im Text verankert ist) verloren geht, entsteht eine Dynamik entlang des Bildes - sprich: die Leute reimen sich dann eine Logik im Sinne des Bildes zusammen.
Die ursprünglichen Autoren würden vermutlich davonrennen, wenn sie ihre Texte in der heutigen Form sehen würden und ihnen klar wird, dass die Bilder nicht mehr als Bilder gesehen werden.
Sara Funkelstein hat geschrieben: Sa 21. Dez 2024, 07:39Erinnert mich an die christliche Endzeit-Bewegung. Als wollte man diese Zeit herbeiführen.
Ja, wenn nur die Hälfte der Behauptungen stimmt, auf welche Weise Jerusalem im ersten Jahrhundert gefallen ist, dann haben sie sich quasi "nur gegenseitig aufgefressen".

Genau diese Umstände sind für mich auffallend, denn sie laufen alle unter der Messias-Thematik, aber es gibt aus dem Christentum heraus keine Beschäftigung damit.
Wenn das Christentum eine parallele Entwicklung gewesen wäre, dann hätten sie auf "die Anderen" zeigen und sich abgrenzen können.
Ich kenne keine derartigen Texte.
Selbst zu den Christenverfolgungen (also z.B. in den "Apologeten"-Texten - ich habe nicht alle gelesen!) wird keine Aufklärung geliefert, dass die "Jesus"-Christen nicht zu den von ROM verfolgten Messias-Anhängern gehören.

Für die Christen gab es immer nur Christen.

Vermutlich ist das eine Form der Wahrheit, d.h. es gab nie eine andere Bewegung, sondern die Christen sind die Messias-Bewegung des 1. Jhd. (bzw. deren Erben).
Die Christen sind vermutlich ursprünglich eine (gewalttätige) jüdische Messias-Bewegung, die sich gegen ROM zur Wehr gesetzt, den jüdischen Krieg geführt, sowie Jerusalem und den Tempel verloren haben.
Sie wurden in den Mittelmeerraum vertrieben (auch als Sklaven verkauft) und danach haben sie sich im Mittelmeerraum wieder reorganisiert, d.h. das Christentum hat sich in der antiken Welt nicht in erster Linie verbreitet, sondern es wurde verstreut und hat sich dann (bestimmt im Verborgenen, da ja eine Feindschaft zu ROM bestand) an den eigenen Haaren aus "der Depression" wieder herausgearbeitet.
Dieser ganze Prozess hatte vermutlich Einfluss auf die Textgestaltung - z.B.: "je mehr im Verbogenen, desto mehr Bildsprache".