Sara Funkelstein hat geschrieben: ↑Mo 16. Dez 2024, 18:11Hier muss ich noch mal fragen, ob du davon ausgehst, dass es die Person Jesus tatsächlich - auch - gab?
Für mich ist "Jesus" keine historische Person.
Die "Jesus"-Legende (also besonders die Evangelien) sind eine bildhafte bzw. symbolische Darstellung von Vorgängen des 1. Jhd.
Den Status und die Handlungen bei der literarischen "Jesus"-Figur sehe ich als Erzählanalogie zur tatsächlichen Messias-Bewegung des 1. Jhd.
D.h. z.B. die Evangelien arbeiten mit Szenen-Bildern, bei denen jemand mit dem historischen Hintergrund (z.B. jemand aus dem 1. Jhd.) sagt "Ah, ich weiss genau um was es hier geht".
Ohne dieses Hintergrundwissen schaut man sich die beschriebenen Szenen an und hat den Eindruck einer historischen Verankerung bei gleichzeitiger "religiöser Ausgestaltung".
Auf diesem Umstand baut ja die "
historisch-kritische Methode" auf und versucht den "historischen Wanderprediger" herauszuarbeiten.
Motto: "der historische Jesus war ganz anderes als der geglaubte Jesus".
Hierzu stelle ich die Frage, ob man es bei dieser Vorgehensweise merken würde, wenn "Jesus" an sich nur ein Bild für etwas Anderes, aber durchaus Historisches, ist.
Ich habe ja bereits die Geburtsdaten erwähnt.
Das historisch-kritische Verankern einer Person steht hier vor dem Problem, dass die Angaben "Konflikt mit Herodes" und "römische Steuererhebung/Volkszählung" zeitlich derart auseinanderliegen, dass eine Geburt, also ein einzelner Zeitpunkt, nicht beides abdecken kann (Herodes starb wohl schon Jahre vor der Steuererhebung).
Als Lösung wird hierfür dann angenommen, dass eine der Angaben schlicht falsch ist ("man suche sich heraus, welche das sein soll").
Ich denke, "Jesus" ist keine Person, sondern ein Bild, das für die Messias-Bewegung steht. Die Umstände rund um "Jesus" sind letztlich die Umstände rund um die Messias-Bewegung.
Wenn man auf diese Weise an die Geburtsdaten herangeht, dann fällt ganz leicht auf, dass der "Konflikt mit Herodes" und die "römische Steuererhebung/Volkszählung" die wesentlichen Anlässe für den Aufschwung der Bewegung darstellten.
Wenn man nun also den Aufschwung der Bewegung im Bild einer Geburt erfassen möchte, dann steht dieses "auf die Welt kommen" in Zusammenhang mit einem ganzen Zeitraum.
Insgesamt ist die Frage offen, auf welche Weise es, allein aus dem Judentum heraus, zu einer Messias-Begeisterung kommen konnte, an der weite Teile des Judentums teilnahmen und an deren Höhepunkt der jüdische Krieg samt umfangreicher Niederlage/Vertreibung stand.
Keiner der Anführer (und es gab hier über 70 und mehr Jahre eine ganze Dynastie) hat jemals die jüdischen Kriterien für den Messias erfüllt und sie sind alle untergegangen.
Es ist aus meiner Sicht unwahrscheinlich, dass sich die Begeisterung an einer einzelnen Person festgemacht hat.
Es gab sozusagen nicht den einen Messias-Kandidaten, der sie alle mitgezogen hat.
Ich stelle hier eher die Frage, ob die Begeisterung auf einer neuen, im Judentum zündenden Idee aufbaute, die sich darum drehte, wie die Messias-Hinweise in den alten Schriften "wirklich" zu deuten sind.
Wenn grundsätzlich Bilder in den Schriften verwendet werden, dann gibt es für Gläubige den Freiheitsgrad, sich auszudenken, für was das einzelne Bild steht.
Wenn in den Schriften so etwas steht wie "da kommt ein Messias und der erreicht dieses und jenes" (ich vermute so steht es rund um die "babylonische Gefangenschaft" irgendwie in den Prophezeiungen drin), dann stelle ich mir die Frage, ob dieser Messias ein einzelner Mensch sein muss, oder ob es auch eine Glaubensbewegung sein kann.
Vielleicht war es so ein Aspekt, der im Judentum des 1. Jhd. zu einer neuen Perspektive auf das Messias-Thema führte, bei der es nicht um eine menschliche Instanz ging, sondern um das Mitmachen, um das Teilnehmen (was ja im Grunde schon das Wesentliche einer Religion ausmacht).
D.h. die Juden im 1. Jhd. wären damit nicht einem einzelnen Menschen gefolgt, sondern der Idee, durch eine Messias-Bewegung die Messias-Prophezeiung zu erfüllen (und damit die Fremdherrschaft zu überwinden).
Wie ich gesagt habe, sehe ich es nicht als plausibel an, dass es im Judentum zum Anhimmeln eines einzelnen Menschen gekommen ist.
Dass es aber im Judentum zu Gruppen mit spezieller (sehr unterschiedlicher) Glaubensausrichtung gekommen ist, ist für das 1. Jhd. ohne Probleme belegt, d.h. dazu sind die Juden durchaus bereit gewesen.
Irgendwie mussten sie es sich zusammengereimt haben, dass sie durch die Teilnahme an der Messias-Bewegung die messianische Zeit erreichen können, und sie waren ja derart fanatisch davon begeistert, dass sie nie dagewesene Qualen ausgehalten haben - das ist also keine einfache Glaubensentscheidung gewesen.
Das Ziel der Bewegung war für die einzelnen jüdischen Gläubigen todesverachtend wichtig. D.h. für die Teilnahme haben sie alles aufgegeben, sogar ihr eigenes Leben.
Der Status dieses Vorganges, dieses Strebens nach der messianischen Zeit, war für sie maximal hoch angelegt.
Springt man nun von diesen Umständen in eine bildhafte Darstellung der literarischen "Jesus"-Figur, dann findet man die Zusammenhänge dort in einer maximal hoch angelegten Sonderstellung wieder.
Das beantwortet dann die Frage "wozu braucht es Jesus?": "er" (also "die Bewegung") führt in die Erlösung, in die messianische Zeit.
Mal angenommen sie haben das Messias-Bild aus den alten Schriften von der Vorstellung eines einzelnen Menschen umgedeutet in "dort ist eher eine Bewegung gemeint", dann wären die Anhänger, bei der erzählerischen Behandlung der Bewegung als "Jesus", einfach nur im Bild geblieben.
D.h. die anhängenden Juden hätten es schon ausgehend von den alten Schriften akzeptiert, dass sie ihre Bewegung in personeller Darstellung gesehen haben.
Sie haben ihrer Bewegung "göttliche Funktion" zugeordnet (immerhin sollte ja die messianische Zeit erreicht werden) und hätten diese dann in ihrer Bildsprache als "göttlichen Jesus" verwaltet.
Es gibt bestimmt noch andere Möglichkeiten, wie es zu der (von mir vermuteten) literarischen Bildsprache gekommen sein kann, aber "einfach nur im Stil der alten Schriften zu bleiben" erscheint mir sehr elegant und auch für Juden voll und ganz akzeptabel zu sein.
Sara Funkelstein hat geschrieben: ↑Mo 16. Dez 2024, 18:11Und erst recht nicht die Idee, dass es neben Gott noch einen zweiten gibt, einen göttlichen Sohn bzw. Gott in Menschengestalt. Ich kann ja auch selbst zu Gott kommen.
Genau so ist es.
Die Juden im 1.Jhd. haben, historisch sehr gut belegt (glaube ich), aus sich selbst heraus, also durch eine neue Idee entlang der alten Schriften, einen Vorgang gestartet, um "zu Gott zu kommen".
Sie wollten die Fremdherrschaft durch eine "neue Glaubensdisziplin" überwinden, um ihren Gott zu erreichen.
Das Konzept war
nicht, dass ein "ganz toller Anführer alles für sie einrichtet und dafür angebetet wird", sondern dass sie möglichst umfangreich und felsenfest/standhaft mitmachen mussten, um sich für Gott als würdig zu erweisen.
Hier ging es um das Mitmachen des ganzen Volkes und um die Aktivität jedes Einzelnen.
Das sind Aspekte, durch die der Gesamtbewegung eine Einstufung zukommt, die ich als "Glorifizierung" ansehen würde - Motto: "nur durch die Gesamtbewegung erreichen wir das Ziel".
Sara Funkelstein hat geschrieben: ↑Mo 16. Dez 2024, 18:11Die Zahl 40 kommt in der Schrift öfters vor und wurde wohl wieder aufgegriffen, um dem Ganzen mehr Nachdruck zu verleihen.
Das ist erstaunlich, bei "40 Tage in der Wüste" fallen dir die "40" als Symbolik auf, dass es aber bei der literarischen Figur "Jesus" um "den Gand in die Wüste" geht, verbindest du wohl eher als Beschreibung eines historischen Vorganges, d.h. "das Gehen in die Wüste" ist kein Bild.
Die Geschichte geht ja (glaube ich) so, dass "Jesus" zuerst getauft wird, dabei der "Heilige Geist" ins Spiel kommt und genau dieser "Geist" den Gang in die Wüste bewirkt.
D.h. "das Gehen in die Wüste" wird literarisch mit einer "göttlichen Absicht" verbunden.
Ein Jude des 1.Jhd., der diese Wüsten-Gang-Sequenz hört, wird sofort gewusst haben, um was es gehen soll.
Die Anhänger der Messias-Bewegung haben alles zurückgelassen und sind in die Wüste gegangen, denn dort waren ihre Stützpunkte (notgedrungen, denn wer ROM keine Steuern zahlen wollte, verlor seinen Besitz und floh in die Wüste).
Dass es literarisch keine Auseinandersetzung mit diesen Umständen gibt, deutet daraufhin, dass "der Jesus-Gang in die Wüste" ein Bild für die Messias-Bewegung ist, die in die Wüste gegangen ist.
Das Verbinden des Wüstenbildes mit dem "Heiligen Geist" stellt dann wiederum das Glorifizieren der Bewegung dar.
D.h. die Entscheidung sich gegen ROM zu stellen und alles aufzugeben, wird literarisch als "göttliche Lenkung" eingestuft.
Nachdem den Juden im 1.Jhd. also klar wurde, dass es zu einer Messias-Bewegung kommen muss (von ihnen wohl als "heilige Idee" eingestuft), haben sie sich in der Wüste zusammengefunden.
Dort scheint dann wohl einiges geschehen zu sein, aber die Bewegung blieb standhaft und hat sich danach aus der Wüste herausverlagert.