Thaddäus hat geschrieben: ↑Mi 21. Dez 2022, 18:08
Paul hat geschrieben: ↑Mi 21. Dez 2022, 16:02
wir empfinden uns alle als ein kontinuum, die einen nennen es ich/selbst, die anderen nennen es seele
Claymore würde diese Vorstellung von Seele höchstwahrscheinlich zurückweisen (wenn ich ihn richtig verstehe).
Naja, die Empfindung der Kontinuität wirst du wohl auch nicht als Seele bezeichnen, oder?
Aber auf was basiert die Kontinuität? IMHO die Seele als Form (μορφή bei Aristoteles) des Körpers (das ist der Unterschied zum cartesischen Dualismus, wo die Seele bereits eine Substanz aus "eigenem Recht" bildet).
Es besteht die Tendenz, die aristotelische Form als proto-wissenschaftliches Konzept zu interpretieren. Also als bloße Abstraktion* von Funktion, Organisation oder Struktur. Form wie Konstruktion einer Maschine, Programm auf einem Computer, DNA in der Zelle, ...
Derartiges wird beim Menschen oft als Basis für die persönliche Kontinuität** identifiziert.
* also ähnlich Dennetts "funktionaler Einstellung" (design stance) oder "intentionaler Einstellung" (intentional stance).
** auch wenn ein moderner Philosoph nicht dem Neurodeterminismus anhängt, und er z. B. beim Anschauungsobjekt Nr. 1 Phineas Gage an dessen (auch überlieferte) psychisch-soziale Rehabilitierung glaubt, wird er das Gehirn doch immer noch mechanistisch verstehen und "top down" Kausalität nicht zulassen.
Die Formen, wie ich sie verstehe, verfügen zwar über diese Aspekte, aber eben auch über holistische (top down) und metaphysische.
Aristoteles hat diese Aspekte nie getrennt und ich kenne auch kein in-sich schlüssiges Argument für diese Trennung. Die Übergänge sind mMn stattdessen fließend und die Dichotomie nur ein Resultat des mechanistisch-reduktionistischen Weltbilds.
Die aristotelische Form mag einem nun wie metaphysisches Wunder vorkommen. Durchaus verständlich, aber ich halte das epistemologische Wunder des Reduktionismus für noch viel wunderbarer.
Beim Menschen haben wir nun einen speziellen Fall, dass meiner Ansicht nach die Seele als Form eben losgelöst von der Materie weiter existieren kann. Und das erlaubt eben die Kontinuität über dieses Leben hinaus.
Also bei allen Trends zur "Entmythologisierung" und "Aufklärung" muss man sich bewusst machen, dass es dann doch eine Grenze gibt, wenn man im Rahmen einer Erlösungsreligion bleiben will.
Eugen Drewermann hat geschrieben:Als ein mythisches Bild halte ich den Begriff Seele für unverzichtbar. Es liegt in ihm eine lang noch nicht ausgeschöpfte Quelle von Poesie. Die Seele ist ein Medium der Begegnung, der Schönheit, der Ergriffenheit, der Zugewandtheit. Sozusagen das Signum für einen Austauschvorgang in Zärtlichkeit und Liebe. Sieht man, berührt man die Seele eines Menschen, möchte man sein Geheimnis zwar erfahren, berühren, streicheln. Aber man weiß zugleich, dass man es nie begreifen und schon gar nicht ergreifen kann. Dass da ein Heiligtumsraum ist. Etwas, das geschützt sein will. Eine Sphäre des Göttlichen. Das alles schwingt in dem Begriff Seele mit.
Genau das geht eben nicht - alle diese Poesie kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit allem angeblichen Ballast auch die eigentliche Fracht über Bord geworfen wurde.
Das ist die Flucht ins anti-realistische Ghetto. Es bleibt der reine Appell an wohlige Gefühle. Dabei muss selbst in der minimalsten Minimalreligion halt mal ein metaphysisches Commitment gemacht werden. Ansonsten ist es nur eine wenig überzeugende Mischung aus Brauchtum und Lebensphilosophie.
Prosaischer Einwand? Ja. Gegen Poesie kommt man wohl nur mit Poesie an. Also
Moon, 2009, schauen.
Thaddäus hat geschrieben: ↑Mo 19. Dez 2022, 09:59Claymore kritisierte diesen filmischen Versuch einer aufgeklärten Spiritualität als zu sehr naturwissenschaftlich orientiert und daher religiös und spirituell (auch metaphysisch?) wesentlich zu dürftig. Thaddäus dagegen hält die in der Sterbeszene gäußerten philosophischen Äußerungen auf der Basis naturwissenschaftlicher Erkenntnisse nicht nur für eine spekulativ noch vertretbare philosophisch fundierte, metaphysische Ansicht darüber, "was geschieht, wenn wir sterben", sondern für die einzige, die nach heutigem Wissensstand aufgeklärt-rational überhaupt vertretbar ist.
Ich denke einfach, dass von allem poetischen Zierrat befreit, da nichts interessantes dahinter steckt. Gleiches Problem wie bei Drewermann. Gibt aber durchaus atheistische Philosophien mit Tiefgang und "Trost" (in ihrem Rahmen), z. B. Existentialismus.
Zum Rest schreibe ich noch was, kam bis jetzt nicht dazu.