https://www.evangelischer-glaube.de/theologia-deutsch/Das zweiundzwanzigste Capitel.
Wie der Geist Gottes zuweilen einen Menschen besitzt und seiner mächtig ist und auch der böse Geist.
Man spricht, der Teufel und sein Geist habe zuweilen einen Menschen besessen und behaftet, also daß der Mensch nicht weiß, was er thut oder läßt und er ist seiner selbst unmächtig, sondern der böse Geist ist sein gewaltig und thut und läßt in dem Menschen und mit ihm, durch ihn und aus ihm, was er will. Es ist wahr in einem Sinn, daß alle die Welt behaftet und besessen ist mit dem bösen Geiste, das heißt mit Lügen und mit Falschheit und mit anderer Bosheit und Untugenden: das ist alles der böse Geist, wie wohl es doch auch in einem andern Sinn zu nehmen ist. Der nun besessen und ergriffen wäre von dem Geist Gottes, also, daß er nicht wüßte, was er thäte oder ließe und also seiner selbst nicht mächtig wäre, sondern der Wille und der Geist Gottes wäre seiner gewaltig und wirkte und thäte und ließe mit ihm und aus ihm, was und wie ers wollte: das wäre der Menschen Einer, von denen Sankt Paulus spricht: „die von Gottes Geist gerichtet und geführt werden, die sind Gottes Kinder und sind nicht unter dem Gesetz,“ und zu denen Christus sprach: „ihr seid’s nicht, die da reden, sondern der Geist eures Vaters redet in euch.“ Aber ich fürchte, wo ein Mensch wahrlich mit dem Geiste Gottes besessen sei, daß dawider hunderttausende oder Unzählige mit dem bösen Geiste besessen sind. Das kommt davon, daß die Menschen mehr Gleichheit haben mit dem bösen Geiste denn mit Gott. Denn Ichheit, Selbstheit, Mein, Mir und desgleichen gehört alles dem bösen Geist zu, und deshalb ist er ein böser Geist. Sieh, ein einziges Wort oder zwei sprechen alles aus, was diese vielen Worte sprechen, das ist: sei lauterlich und gänzlich ohne dich selbst. Aber diese vielen Worte haben es mehr und besser erklärt und bewährt und unterschieden. Nun spricht man: „ich bin zu diesem allem nicht bereit, darum mag es in mir nicht geschehen;“ und also findet man eine Entschuldigung. Daß der Mensch nicht bereit ist oder wird, das ist wahrlich nur seine Schuld. Denn hätte der Mensch anders nicht zu achten und zu schaffen, denn daß er allein der Bereitung wahrnähme in allen Dingen und dächte mit ganzem Fleiße darauf, wie er dazu bereit werden möchte, in Wahrheit, Gott würde ihn wohl bereiten, und Gott hat also großen Fleiß und Ernst und Liebe zu der Bereitung als zu dem Eingießen, wenn der Mensch bereit wäre. Doch sind etliche Werke hier nötig, gleichwie man spricht: wer eine Kunst lernen will, die er nicht kann, dazu gehören vier Dinge. Das erste, das am allernötigsten ist, das ist große Begierde und Fleiß und stetiger Ernst, wie er diese Kunst möge lernen. Und wo dies nicht ist, da wird die Kunst nimmer gelernt. Das andere ist, daß man ein Vorbild habe, daran man lernen könne. Das dritte ist, daß man dem Lehrmeister mit ganzem Fleiß genau und wohl zusehe und mit Ernst auf Ihn achte und merke und Ihm in allen Dingen gehorsam sei und Ihm glaube und nachfolge. Das vierte Stück ist, daß man es selbst angreife und mit Fleiß übe. Wo aber dieser Eines gebricht, da wird die Kunst nimmer gelernt oder über-kommen. Also ist es auch um diese Bereitung; denn wer das erste hat, das ist ganzer Fleiß und stete ernstliche Begierde nach dem Ende, der sucht auch und findet alles das, was darzu gehört und darzu dient und nützlich ist. Wer aber den Ernst und Fleiß, die Liebe und Begierde nicht hat, der sucht auch nicht, so findet er auch nicht, und bleibt also unbereitet. Darum so kommt er nimmer zu dem Ende.
Was ich hier faszinierend finde ist, dass auch schon in der mittelalterlichen Mystik (und auch bei Luther, der diese Schrift ja herausgab) das Wissen darum war, dass nicht nur die "bösen" - sondern auch die "guten" Geister den Menschen "besetzen" können = und eine gute Entwicklung der menschlichen Seele (des Egos, Mein, Mich, Mir) von diesem guten Geist ausgeht
Wäre schön, wenn wir mal beim Text bleiben könnten.