ProfDrVonUndZu hat geschrieben: ↑Sa 25. Jul 2020, 21:15
Niemand kann behaupten, sie wären vor 100 Jahren nicht gesellschaftlich integriert gewesen.
Was staatliche Pflichten und Rechte angeht, ganz sicher. - Aber ich erinnere mich an GEspräche, die ich mit Omas und Opas geführt habe, die (das eine Paar aus der Stadt, das andere vom Land) übereinstimmend gesagt haben (ich verkürze): "Wir haben sie übers Ohr gehauen, sie haben uns übers Ohr gehauen. Aber gemocht haben wir uns gegenseitig nicht". --- Als die Juden das Dorf meines Vaters verlassen mussten, hat da keiner getrauert. Man hat weitgehend den offiziellen Darstellungen geglaubt, dass sie umgesiedelt werden sollten - "Dann sollen sie woanders glücklich werden. Wir brauchen sie nicht".
Ich will jetzt keine neue Nazi-Diskussion, sondern erwähne diese Zeitzeugen-Aussagen deshalb, weil es vermutlich im 14. oder 16. oder 18. Jh. nicht viel anders war: Sie waren unterm Strich aus Sicht der Mehrheit offenbar Fremdkörper (wir reden nicht von säkularisierten Juden). --- Und jetzt der Grund dieses Gesprächsausflugs: Ich glaube, dass das etwas mit der hebräischen Denkweise zu tun hat, die ich in der Buber-Übersetzung entdeckt habe und die mich richtig gepackt hat - eine echte Offenbarung. - Vielleicht hat mich da was gepackt, weil ich selber 1/8 Jude bin - who knows.
ProfDrVonUndZu hat geschrieben: ↑Sa 25. Jul 2020, 21:15
Daneben fand ich auch das Interview mit dem jüdischen Publizisten Günther Bernd Ginzel sehr interessant.
Eine merkwürdige Mischung aus jüdischem Kulturbewusstsein und säkularem Mode-Denken.
ProfDrVonUndZu hat geschrieben: ↑Sa 25. Jul 2020, 21:15
Die Bibel bezieht im Gesamtkontext - und den scheinst du immer wieder zu ignorieren, zu vergessen und zu leugnen - ziemlich klar Position zum Pharao und dem ägyptischen Reich.
Ich unterscheide zwischen:
1) Was meint Gott?
2) Was meint der Verfasser?
3) Was tut eine Figur (hier: Pharao) phänomenisch (was man ja mitkriegt)? - Also nicht, was ist der Pharao aus Sicht des Verfasser-Framings, sondern was ist er bei neutralem Framing.
4) Was tut ein Übersetzer?
5) Was tut der Leser?
Wir haben also 5 verschiedene Perspektiven. -- Das ist ziemlich kompliziert, aber auch sehr interessant - hat mich viel Zeit gekostet. - Abraham, David, Saul, Bileam, die Hure Rahab werden per Framing vom Verfasser ganz anders dargestellt, als sie "live" gehandelt haben. - Aber das ist ein anderes Thema.
Insofern: Ich ignoriere, vergesse und leugne nicht (bewusst), sondern verstehe das AT etwas tiefschichtiger als es das Framing der Verfasser nahelegt.
ProfDrVonUndZu hat geschrieben: ↑Sa 25. Jul 2020, 21:15
Ich würde jedenfalls nicht den Schluss ziehen, dass die Bibel nicht bewertet oder keine klaren Werte vertritt.
So meine ich es auch nicht. - Shakespeare schreibt diesbezüglich ähnlich und hat trotzdem klare Werte. - Mir geht es eher darum, dass man "geistliche Wahrheiten" durch natürliche Bilder ausdrücken kann und nicht mit interpretativen Worten festnageln muss.
ProfDrVonUndZu hat geschrieben: ↑Sa 25. Jul 2020, 21:15
Ich kann nur versuchen seinen Gedanken da nachzuvollziehen. Gerade das Einfache wäre das Unverfälschte und damit näher an Gottes Ideal. Im Gegensatz vereint sozusagen. Ob ich damit richtig liege ?
Ich empfinde dasselbe. Und das wäre eine Empfindung aus einem natürlichen Bild: "Er war schlicht". - Das klingt anders als "Er war vollkommen" - "vollkommen" ist kein natürliches Bild, sondern eine interpretative Überhöhung. --- Entscheidend wäre bei dieser Sache, was im Urtext steht - ich hoffe, es steht dort so etwas wie "einfach". --- Übrigens: Buber beschreibt einen Menschen oft als "aufrecht" - auch ein natürliches Bild, denn man kann sich einen Mensch vorstellen, der mit gerader Statur rumläuft. - Ich meine, dass es bei "normalen" Übersetzungen so was Ähnliches wie "gerecht" heißt - also auch wieder eine interpretative Überhöhung.
Ähnliches gibt es übrigens zwischen Shakespeares "Macbeth" und einem Nachahmer-Macbeth 50 Jahre später. - Wahnsinnig interessant.
ProfDrVonUndZu hat geschrieben: ↑Sa 25. Jul 2020, 21:15
Wenn etwas "plötzlich" widerspruchsfrei ist, dann spricht das weniger dafür den ultimativen Schlüssel gefunden zu haben, als für eine nachträgliche Anpassung aus dem Wunsch der Widerspruchsfreiheit heraus.
Das ist ein psychologischer Hinweis, den man sicher nicht unterschätzen sollte. - Aber man kann es ja konkret machen und überprüfen - Beispiele habe ich genannt. ---- Wie gesagt: Das ist alles nicht ganz einfach - ich weiß das, weil ich damals gemerkt habe, wie es sozusagen mein Hirn im Kopf gedreht hat.
Erinnerst Du Dich daran, als Du Dir das erste Mal vorstellen konntest, dass Australier NICHT mit den Beinen nach oben stehen? --- Ich weiß es noch. Erst konnte ich es mir nicht vorstellen - die standen immer mit dem Kopf nach unten, egal wie ich dachte. - Und plötzlich ist was passiert, so dass ich von der Außenansicht (da stehen Australier verkehrt rum) auf die Innenansicht wechseln konnte (da standen sie plötzlich, wie wir es tun) - und da wurde es mir schwindelig. - Ähnlich ging es mir bei Buber.