Hier läuft etwas begrifflich schief (wie üblich hier im Forum und woanders wahrscheinlich auch):
In WISSENSCHAFT gibt es keinen Glauben, da Wissenschaft einen Verfahrensweg beschreibt (analytisch/methodisch/systematisch). - Glauben kann es allenfalls VOR der Wissenschaft geben in Gestalt von Vorannahmen - wobei es vollkommen egal ist, ob man eine Vorannahme "Glaube" nennt oder nicht. - In Predigten dagegen gibt es Glauben - das ist etwas GANZ anderes. Dass der Laudator beides zusammengebracht hat, ist schlicht dem Umstand geschuldet, dass Theißen Wissenschaftler und Prediger ist und man das dann halt zusammenbringt.
Ein exegetischer Wissenschaftler fragt VOR dem Forschungsbeginn: "Wie will ich eigentlich vorgehen?". - Analytisch/methodisch/systematisch gehen sie alle vor - aber mit welchem Ansatz gehe ich vor. - Nehme ich an, dass Jesus nur Mensch war (das kann die Forschung eh nicht rauskriegen) oder dass er auch göttlich war (das kann die Forschung eh nicht rauskriegen), dass es Wunder geben kann (das kann die Forschung eh nicht rauskriegen) oder die Geschichte als naturalistisch ungebrochener Wirkungszusammenhabng zu verstehen ist. - Nehme ich weiter an, dass ältere Quellen authentischer sind zu dem, was Jesus meint, oder können es auch die neueren Quellen sein, die authentischer sind zu dem, was Jesus meint. - Diese Vor-Entscheidungen sind wichtig, weil bestimmte Bibel-Passagen ganz unterschiedlich exegetisch zu verstehen sein können, je nachdem wie man vorentscheidet.
Aber das hat nichts mit "Glauben" zu tun - wissenschaftlich gesehen. -- Ein atheistischer Wissenschaftler kann genauso mit der Annahme "Jesus war auch göttlich" arbeiten wie ein katholischer Wissenschaftler mit der Annahme "Jesus war nur menschlich" arbeiten kann - die Wahrscheinlichkeit ist zwar relativ hoch, dass es beiden jeweils gegen den Strich geht, aber ein Profi-Wissenschaftler muss das können - reine Frage der Disziplin.
Um es kurz zu machen: Es scheint unheimlich schwer zu sein, die eben genannten Grundlagen zu vermitteln - vielmehr hebt man die ganze Sache gleich auf Glaubensebene (was sicherlich damit zu tun hat, dasss das Feld derart ideologisch kontaminiert ist, dass es man schon wieder fast verstehen kann). - Aber das ist unprofessionell.
Insofern ist Deine Aussage "Wenns jetzt plötzlich nicht mehr um das geht, was einer glaubt" Folge eines Missverständnisses, denn es ging primär nie darum (soweit wie auf wissenschaftlicher Ebene sprechen).
Das Problem liegt woanders:
Seitens der historisch-kritischen Exegese wird fälschlich gemeint, ihre Vorannahmen seien neutral - Schlussfolgerungen deren Ergebnisse seien also ergebnisoffen. - Das führt dann zu Exegesen, denen Faktum-Charakter zugesprochen wird, obwohl es historisch völlig offen ist, ob es wirklich so war. --- DAS kritisiere ich - diesen ideologischen Ansatz. - Das ist Glaubens-Exegese.
Seitens der geistlichen Exegesen wird das natürlich ebenfalls vermischt. Aber genau das darf man NICHT vermischen. - Da lobe ich mir unsere damalige Ausbildung (allerdings war das in Literaturwissenschaft), in der uns eingeschärft wurde, Exegese und Hermeneutik scharf zu trennen.
Wo gehört dann überhaupt der Glaube hin? Da kommt dann Ratzinger mit seinem "Glaubensentscheid" zum Zug, was so viel heißt wie:
"So - jetzt haben wir die wissenschaftliche Exegese (Sensus literalis) hinter uns, der uns hilft, mit unserem Glauben besser zu verstehen - dies tun wir auf Ebene des Sensus spiritualis". - Diese Ebene ist dann streng genommen entweder nicht mehr Wissenschaft, sondern hermeneutisch - oder man qualifiziert auch hermeneutische Aussagen als "wissenschaftlich", weil sie Folge der Sensus-literalis-Exegese sind. - Wo und wie man da die Grenze zieht, weiß ich auch nicht - wichtig ist, dass sie für ALLE dieselbe Grenze ist.